Jeden Dienstagmorgen beginnt eine 38-stündige «Gebetskette», in der die Beter/innen nacheinander zum Gebet in die Kirche kommen. | © Cornelia Bergmann
Jeden Dienstagmorgen beginnt eine 38-stündige «Gebetskette», in der die Beter/innen nacheinander zum Gebet in die Kirche kommen. | © Cornelia Bergmann
11.01.2024 – Aktuell

38 Stunden in Ruhe vor Gott

Kontinuierliches Gebet für ein gestilltes Herz

Rund um die Uhr beten. Diese Tradition, die seit langer Zeit in der katholischen Kirche existiert, erlebt seit einiger Zeit in einer modernen geistlichen Bewegung einen neuen Aufschwung. Auch in unserer Nähe, im badischen Herten, können Gläubige am ununterbrochenen Gebet teilhaben.

Menschen aus den Regionen Basel-Stadt, Basel-Landschaft und Solothurn, die sich für diese Gebetspraxis interessieren, mussten bisher nach Zürich fahren. Seit der Adventszeit 2023 ist der Weg nun nicht mehr so weit: In Herten, auf der anderen Seite des Rheins wurde das kontinuierliche Gebet, das dort bereits seit elf Jahren praktiziert wird, ausgeweitet. «Bisher gab es jeden Dienstag im Wechsel 17 und 24 Stunden am Stück stilles Gebet in unserer Kirche», erklärt Gertrud Heggenberger, die die Gebetsgruppe ehrenamtlich koordiniert. Von nun an beginnt jeden Dienstagmorgen eine 38-stündige «Gebetskette», in der die Beter/innen nacheinander zum Gebet in die Kirche kommen.

Kraft für den Alltag

Die Motive der Menschen, die hier am Gebet teilnehmen, sind ganz unterschiedlich. Viele stossen eher zufällig dazu, andere verbringen in dieser besonderen Atmosphäre einen Teil ihrer Mittagspause, und wieder andere beten abends oder sogar nachts für eine Stunde. «Ich bekomme hier mein Herz gestillt», erzählt Cornelia Bergmann. Sie sei früher schüchtern gewesen und erfahre in der Anbetung eine innere Gemeinschaft, die sich spürbar auf ihre Beziehungen mit ihren Mitmenschen auswirke. Andere sprechen von Kraft für den Alltag, die ihnen die Teilnahme am kontinuierlichen Gebet spendet. «Hier klären sich viele Fragen, die mich im Alltag beschäftigen», erklärt Richard Müller aus dem Pfarrgemeinderat. «Ich habe in der Anbetung einen Ort, wo ich meine Sorgen loslassen und meine Freuden teilen kann.» Pfarrer Andreas Brüstle berichtet von den positiven Auswirkungen, die das Gebet auf die Gemeindemitglieder habe: «Die Leute haben gelernt, offen und natürlich über ihren Glauben zu reden und von eigenen Erfahrungen zu erzählen.» Die Kirche hat die Gläubigen seiner Meinung nach viel zu lange nur als passive Konsumenten angesehen. «Das Resultat: Eine geringe Sprachfähigkeit über den eigenen Glauben», so Brüstle.

Prioritäten neu setzen

Doch wie kommt es, dass Bewegungen wie diese in den letzten Jahren wieder mehr Zulauf bekommen haben? Die Koordinationsgruppe des Projekts sieht gleich mehrere Faktoren als Grund. Zum einen strebten die Menschen in ihrem Leben vermehrt eine Balance aus Aktion und Kontemplation an. In den Beschäftigungen des Alltags brauche es einen Ruhepol, um die eigene innere Mitte nicht zu verlieren. Die Menschen ordneten ihre Prioritäten neu. Auch eine wachsende Sehnsucht nach Orten des Friedens sei zu bemerken. Ausserdem gebe das Gebet die Motivation und die Kraft, die praktische Seite des Glaubens zu leben. Wie sich das zeige? Durch den Dienst am Nächsten und den eigenen Beitrag für das Gemeinwohl.

Leonie Wollensack