Schülerinnen in der Darwish Primary School in Garowe, Somalia (8. November 2021).
| © Mackenzie Knowles-Coursin/Unicef
Schülerinnen in der Darwish Primary School in Garowe, Somalia (8. November 2021). | © Mackenzie Knowles-Coursin/Unicef
29.12.2022 – Impuls

Lukas 8,49–55

Während Jesus noch redete, kam einer von den Leuten des Synagogenvorstehers und sagte: Deine Tochter ist gestorben. Bemüh den Meister nicht länger! (…) Alle Leute weinten und klagten um sie. Jesus aber sagte: Weint nicht! Sie ist nicht gestorben, sie schläft nur. Da lachten sie ihn aus, weil sie wussten, dass sie tot war. Er aber fasste sie an der Hand und rief: Mädchen, steh auf! Da kehrte ihr Lebensatem zurück und sie stand sofort auf. Und er ordnete an, man solle ihr zu essen geben.

Einheitsübersetzung 2016

 

Den Mädchen zu essen geben

Was braucht dieses Kind, die Tochter des Synagogenvorstehers, damit sie leben kann? Sie ist krank, sie liegt im Sterben, laut Auskunft der Leute ist sie schon gestorben. Hat kein Leben mehr in sich. Hat vielleicht keinen Grund zum Leben mehr in sich. Jesus fasst sie an der Hand. Hält sie. Stützt sie. Ruft sie zum Aufstehen. Zur Rückkehr ins Leben. Und sie steht auf. Und er ordnet an, man solle ihr zu essen geben. Nahrung. Mehr als Essen für den Leib. Nahrung für Herz und Hirn?

Was braucht ein Kind, um leben zu können? Liebe, Wärme, Nahrung, ein Dach über dem Kopf. Und Nahrung für Herz und Hirn. Bildung.

Weltweit gehen 132 Millionen Mädchen nicht zur Schule. 55 Prozent der Kinder im Primarschulalter, die nicht zur Schule gehen, sind Mädchen. Von den weltweit rund 781 Millionen erwachsenen Analphabeten sind fast zwei Drittel Frauen, so schreibt Unicef auf ihrer Homepage.

Mädchenbildung ist zentral für die Entwicklung eines Landes auf allen Ebenen. Ausgebildete Frauen haben gelernt, Krankheiten vorzubeugen. Ihre Kinder sind gesünder und besuchen häufiger die Schule. Bildung, vor allem von Mädchen, ist eine der wirksamsten Lösungen gegen Armut und das Bevölkerungswachstum. Manche Organisationen vergeben Mikrokredite ausschliesslich an Frauen, da diese besser wirtschaften und die Kredite zuverlässiger zurückzahlen. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Friedensabkommen mindestens zwei Jahre hält, steigt um 20 Prozent, wenn Frauen sich in den Friedensverhandlungen aktiv beteiligen. Dazu braucht es gebildete Frauen.

Und trotzdem sind Millionen von Mädchen ausgeschlossen. Aktuell in Afghanistan, wo seit über einem Jahr Mädchen ab elf Jahren nicht in die Schule gehen dürfen. Mädchen ab dem Alter, in dem die Tochter des Synagogenvorstehers war. Wonach hungerte sie? Wonach hungern die Mädchen in Afghanistan und in so vielen Ländern der Welt?

Jesus ordnete an, man solle ihnen zu essen geben. Den Mädchen. Die nach Nahrung hungern. Nach Nahrung für Herz und Hirn. So viele Frauen haben sich unter Einsatz ihrer Existenz durch die Jahrhunderte hindurch für Mädchenbildung eingesetzt. Schon im 16. Jahrhundert Angela Merici. Mary Ward im 17. Jahrhundert. Malala Yousefzai in Pakistan im 21. Jahrhundert. Starke Frauen, die erkannt haben, was nottut. Wie Elizabeth Ann Bayley Seton. Nur 46 Jahre lebte sie; doch in den Vereinigten Staaten prägt sie bis heute das katholische Schulwesen. Sie – und mit ihr so viele andere – haben den Mädchen zu essen gegeben.

Dorothee Becker, Theologin und Seelsorgerin.
Gemeindeleiterin der Pfarrei St. Franziskus,
Riehen-Bettingen