Gesprächsleiter Roger Ehret (links) befragte den Soziologen Ueli Mäder und die Theologin Béatrice Bowald zum Entstehen und zum Potenzial von Widerständigkeit. | © Christian von Arx
Gesprächsleiter Roger Ehret (links) befragte den Soziologen Ueli Mäder und die Theologin Béatrice Bowald zum Entstehen und zum Potenzial von Widerständigkeit. | © Christian von Arx
06.05.2019 – Aktuell

«In der Kirche besteht Anlass zu Widerständigkeit»

Ein Podium im Vorfeld des Frauenstreiks vom 14. Juni

Was ist Widerständigkeit, woher kommt sie und wo besteht Anlass, diese Haltung an den Tag zu legen? Vor dem Hintergrund des bevorstehenden Frauenstreiks lotete ein Podium in Basel den Begriff aus.

«Widerständigkeit ist eine reflektierte Haltung, der es um Gerechtigkeit, Solidarität und Freiheit geht», umriss Béatrice Bowald, Co-Leiterin des Pfarramts für Industrie und Wirtschaft BS/BL, den Begriff. «Das ist mir in der katholischen Kirche speziell wichtig.» Gibt es denn dort Anlass dazu?, hakte Gesprächsleiter Roger Ehret nach. «Ja», meinte Bowald trocken: In dem hierarchischen Gebilde sei Widerständigkeit für sie ein permanenter Zustand. «In Rom wurden leider entscheidende Weichenstellungen verpasst, aber unten tut sich sehr vieles.» Heute gebe es reiche Erfahrungen von Frauen in Gemeindeleitungen. Das führe manchmal auch zu Auseinandersetzungen mit Priesterkollegen.

«Widerständig kann ich nur sein, wenn ich offen bin, mich anregen zu lassen und Neues zu entdecken. So kann ich Unrecht wahrnehmen, auf das ich bisher nicht aufmerksam wurde», weitete Bowald den Blick. Dem stimmte der emeritierte Soziologieprofessor Ueli Mäder nachdrücklich zu: «Widerständig ist, wer entdecken will und neugierig ist.» Wichtig seien einfache Formen von Widerständigkeit: «Menschen, die sagen ‹Ich mache da nicht mit›.»

Diese Haltung gebe es bei ganz unterschiedlichen Menschen. So hätten in Nazideutschland viele, von denen man das nicht aufgrund ihres Berufes oder einer öffentlichen Rolle erwartet hätte, Verfolgte geschützt. Der 68-jährige Soziologe findet auch nicht, dass die heutige Jugend weniger widerständig als früher. Er verwies auf die Klimadebatte oder den Frauenstreik.

Nach eigenen Akten der Widerständigkeit befragt, erwähnte Béatrice Bowald die in 10 000 Exemplaren verbreitete Broschüre «Let’s talk about gender» (2017), an deren Herausgabe sie als Redaktorin der feministisch-theologischen Zeitschrift «Fama» beteiligt war. «Wir wussten, dass ein Gremium der Bischöfe daran war, sich dazu zu äussern. Wir wollten nicht nur darauf reagieren, sondern aktiv klarmachen, warum dieser Begriff sinnvoll und wichtig ist.» Ein anderes Beispiel bezog sich auf die Bibel. In den meisten Übersetzungen laute ein Jesuswort im Lukasevangelium (7,22) «Armen wird das Evangelium verkündet.» Die Basler Theologin Luzia Sutter Rehmann habe den Urtext in der «Bibel in gerechter Sprache» dagegen so übersetzt: «Arme bringen frohe Botschaft!» Die Armen werden vom Objekt der Verkündigung zum Subjekt. Diesen Blickwechsel habe sie in einer Bibelkolumne für die «Basler Zeitung» aufgenommen. Prompt kam Kritik.

Wer widerständig ist, zahlt oft einen Preis dafür. Ueli Mäder verwies auf eigene Erfahrungen schon im Kindergarten, aber auch auf die heutige Türkei. Béatrice Bowald berichtete, wovon sie auf dem Pfarramt Industrie und Wirtschaft höre: «Man muckt nicht auf, weil man die eigene Stelle nicht verlieren will.

Anlass zu Widerständigkeit ortete Ueli Mäder in der alle Lebensbereiche durchdringenden Ökonomisierung. Béatrice Bowald fasste den in der Ankündigung des Podiums angesprochenen Frauenstreik vom 14. Juni ins Auge: «Geschlechterbilder sind hartnäckiger als wir wahrhaben wollen, auch bei denen, die sensibilisiert sind.» Das stelle sie auch in der Kirche fest: «Wenn Frauen Anliegen haben, fühlen sich manche Priesterkollegen gleich in Frage gestellt.» Oft fehle es an der Bereitschaft, sogenannte Frauenfragen als gesellschaftliche Fragen wahrzunehmen, so bei der Care-Arbeit. Der Frauenstreik widersetzt sich der Tendenz, dass solche Themen vom Tisch gewischt werden.

Das Podium am 5. Mai wurde von der GGG Stadtbibliothek Basel mit dem Forum für Zeitfragen der Evangelisch-reformierten Kirche Basel-Stadt veranstaltet. Ueli Mäder sprang als Gesprächsteilnehmer für die kurzfristig verhinderte reformierte Theologien Evelyne Zinsstag, Gemeindepfarrerin der Église française de Bâle, ein. Christian von Arx