Gemeinsame Textarbeit an der Jüdisch-Christlichen Akademie Basel. | © Boris Burkhardt
Gemeinsame Textarbeit an der Jüdisch-Christlichen Akademie Basel. | © Boris Burkhardt
28.03.2019 – Aktuell | Hintergrund

Talmudprinzipien in Thora und Neuem Testament verstehen

Ein Besuch in der neuen Jüdisch-Christlichen Akademie in Basel

Vor einem halben Jahr gründeten Studenten und Kollegen des ehemaligen Universitätsdozenten für Judaistik Richard Breslauer in Basel die Jüdisch-Christliche Akademie. Ein Besuch im Abendkurs «Der Talmud als Denkschule» verrät viel über die Entstehung der Institution sowie die Motivation von Kursteilnehmern und -leiter.

 

Dozent Richard Breslauer beginnt mit der jüdischen Geschichte eines Rabbis im Gespräch mit Kleopatra, die jenen fragt, ob die Toten nackt oder in Kleidern auferstehen würden. Der reformierte Theologiestudent Niklaus Klose (39), angehender Pfarrer, weiss Rat: «Er wird die Blumen zum Gleichnis nehmen, die als Samen nackt in die Erde gehen und in schönen Kleidern auferstehen.»

Breslauer nickt: Die Kursteilnehmer der jungen Jüdisch-Christlichen Akademie in Basel, die an diesem Abend im Zwinglihaus zusammengekommen sind, haben verstanden, worum es bei der ersten der dreizehn Formeln der Thora-Interpretation im Talmud geht. «Umso mehr» lautet die freie Übersetzung des Prinzips «qal wa chomer» der Talmudschule. Damit werden einfache Fälle auf schwerwiegende Fälle übertragen und umgekehrt. So auferstehen eben auch die Toten in herrlichen Kleidern, «umso mehr» als die Blumen.

 

Pensionierung als Anlass zur Gründung

Richard Breslauer aus Zürich war bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2018 nebenberuflicher Dozent für Judaistik an der Theologischen Fakultät der Universität Basel. Er ist auch der Grund der Gründung der Jüdisch-Christlichen Akademie im vergangenen Oktober. Diese fand nämlich kurz nach seiner «Zwangspensionierung» statt. Das neue universitätsinterne Gesetz in Basel verbietet Dozenten, die das Pensionsalter erreicht haben, weiterhin zu dozieren. Auch eine Unterschriftenaktion seiner Studenten, von denen einige an diesem Abend im Kurs «Der Talmud als Denkschule» sitzen, änderte daran nichts.

 

Zugang zu neuen Perspektiven

Bereits im zweiten Semester will nun die Jüdisch-Christliche Akademie interessierten Theologen und Laien, Juden wie Christen, die Chance geben, am «unglaublichen Wissen» und den neuen Perspektiven Breslauers, wie Klose formuliert, teilzuhaben. Evelyne Zinstag (29), Pfarrerin der französischsprachigen reformierten Kirche in Basel, kam zum Talmudkurs, weil sie so viel Gutes über Breslauer gehört habe, vor allem von seinen ehemaligen Studenten wie Klose.

Rebecca Mensch (48) hingegen sitzt als Laie am Tisch und hat eine ganz andere Verbindung zur Akademie: Sie entwarf als Grafikerin das Logo des jungen Instituts. Als getaufte Katholikin suche sie «die Auseinandersetzung mit Gott und der Welt». Dazu sagt sie: «Ich will ein gutes Leben im christlichen Sinne führen, aber offen bleiben.» Gemeinsam mit Zinstag führt sie in der Diskussion das erste Talmudprinzip im Neuen Testament fort und nennt Jesu Gleichnis von den Vögeln und Blumen, die nicht säten und ernteten, und für die Gott dennoch sorgen werde: «Umso mehr» eben für die Menschen.

Boas Puder (48) wiederum kann mit Breslauer über die Kohanim diskutieren, jene Untergruppe der Leviten, die ihre Herkunft auf Aaron zurückführen und ihren Dienst am Tempelaltar verrichteten. Puder will seinen jüdischen Religionsunterricht als Kind und Jugendlicher auffrischen: «Ich bekomme hier sehr viel beigebracht. Die Dialektik Breslauers gefällt mir sehr gut.»

 

Von geringer Resonanz enttäuscht

Eine Handvoll Teilnehmer sitzt heute im dritten von sechs Kursabenden mit Dozent Breslauer am Tisch – abwesend sind drei weitere Teilnehmer. Shabnam Edith Barth verhehlt ihre Enttäuschung über die geringe Resonanz nicht: Sie war als Theologin ebenfalls eine Studentin Breslauers und ist jetzt Geschäftsführerin des Trägervereins der Akademie.

Im ersten Semester, als es in drei Kursen um die Gedichte des hebräischen Dichters Yehuda Amichai, um jiddische Märchen sowie um die gemeinsamen Wurzeln und die Abgrenzung von Christentum und Judentum ging, hätten sich bis zu 40 Personen in den kleinen Raum gedrängt. Doch dieses Jahr musste der Kurs über den «Umgang mit der sexuellen Körperlichkeit in Judentum und Christentum» mangels Teilnehmern gestrichen werden.

 

Bisher eine ideelle Trägerschaft

Als gerade ein halbes Jahr alte Institution muss sich die Jüdisch-Christliche Akademie in Basel erst einen Namen machen. Ideell getragen von der Jüdischen Gemeinde Basel und der Evangelisch-reformierten Landeskirche, muss sie sich bis jetzt selbst finanzieren. Gut besucht sei jedenfalls die wöchentliche Thora-Unterweisung und -Interpretation mit dem Strassburger und Basler Rabbi Michel Birnbaum-Monheit.

Weitere Dozenten an der Jüdisch-Christlichen Akademie sind die Basler Philologin und Judaistin Meret Gutmann-Grün (Autorin von «Zion als Frau»), Basels Gemeinde­rabbiner Moshe Baumel, die Elsässer Germanistin und Jiddisch-Professorin Astrid Starck, Ekkehard Stegemann, Theologe mit dem Schwerpunkt auf jüdisch-christlichen Beziehungen, sowie der Theologe, Münsterpfarrer und Kirchenratspräsident der reformierten Landeskirche Basel-Stadt, Lukas Kundert.

Boris Burkhardt, kath.ch