25.10.2018 – Editorial

Glaube und Menschenrechte

«Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.» So beginnt Artikel 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, wie sie die Generalversammlung der Vereinten Nationen vor 70 Jahren, am 10. Dezember 1948, verkündet hat. Der Satz ist die Grundlage aller Menschenrechte. Woher kommt dieser Gedanke, der alles andere als selbstverständlich ist?

Es geht um die Idee, dass Menschenrechte angeboren sind. Sie können nicht erworben werden, sondern kommen jedem Menschen zu, nur weil er oder sie ein Mensch ist. Sie sind nicht an eine Staatsangehörigkeit gebunden. Sie gelten für die Angehörigen aller Länder, auch für die Staatenlosen.

Diese Vorstellung vom Menschen kennen wir aus der Bibel. «Gott erschuf den Menschen als sein Bild, als Bild Gottes erschuf er ihn. Männlich und weiblich erschuf er sie», heisst es im ersten Kapitel des Buches Genesis. Darum konnten die Verfasser der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung von 1776 schreiben, «… dass alle Menschen gleich geboren sind; dass sie von ihrem Schöpfer mit gewissen unveräusserlichen Rechten ausgestattet sind.» Bei Jesus sind die Menschen Gottes Kinder, sie alle sind einander Geschwister. In der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 liest sich das so: Alle Menschen «… sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen.»

Jüdisches und christliches Denken sind eine der Quellen der Menschenrechte. Die Religion hat eine grössere Dimension: Liebe zu Gott und zum Nächsten sind viel mehr als das, was die Menschenrechte verlangen. Auf der andern ­Seite gibt die Bibel aber niemandem einen einklagbaren Anspruch auf seine Menschenrechte.

Für Letzteres sorgt seit 1953 die Europäische Menschenrechtskonvention. Ihre Verfahren und ihr Gerichtshof in Strassburg sind unvollkommen wie alles Menschenwerk. Aber sie stärken die Menschenrechte heute in einem Raum von 47 Staaten mit 800 Millionen Einwohnern; seit 1974 auch in der Schweiz. Das ist eine beispiellose Errungenschaft, und dazu gilt es Sorge zu tragen.

Menschenrechte sind ständig gefährdet – Gesetze und Verträge sind keine Garantie. Sie bleiben nur stark, solange Einzelne und Gruppen sich mit ihrer Überzeugung dafür einsetzen. Dazu gehören wir Christinnen und Christen aller Konfessionen. Aus unserer Sicht geht es bei der Abstimmung vom 25. November zur Selbstbestimmungsinitiative nicht einzig um die Souveränität oder den Aussenhandel der Schweiz, sondern um die Menschenrechte.

Christian von Arx