Mit der japanischen Kintsugi-Technik werden Bruchlinien nicht überdeckt, sondern als Zierde sichtbar gemacht. | © Ruthann Hurwitz/wikimedia
Mit der japanischen Kintsugi-Technik werden Bruchlinien nicht überdeckt, sondern als Zierde sichtbar gemacht. | © Ruthann Hurwitz/wikimedia
16.12.2021 – Impuls

Matthäus 2,13–14.19–21

Als die Sterndeuter wieder gegangen waren, siehe, da erschien dem Josef im Traum ein Engel des Herrn und sagte: Steh auf, nimm das Kind und seine Mutter und flieh nach Ägypten; dort bleibe, bis ich dir etwas anderes auftrage; denn Herodes wird das Kind suchen, um es zu töten. Da stand Josef auf und floh in der Nacht mit dem Kind und dessen Mutter nach Ägypten. Als Herodes gestorben war, siehe, da erschien dem Josef in Ägypten ein Engel des Herrn im Traum und sagte: Steh auf, nimm das Kind und seine Mutter und zieh in das Land Israel; denn die Leute, die dem Kind nach dem Leben getrachtet haben, sind tot. Da stand er auf und zog mit dem Kind und dessen Mutter in das Land Israel.

Einheitsübersetzung 2016

 

Eine heile heilige Familie?

Wann ist eine Familie heilig? Im Wort «heilig» klingt für uns das Wort «heil» mit: Heil und Segen – alles wird gut sein, eine heile Welt. Das ist ein spannungsgeladenes Thema. Viele leiden besonders an Weihnachten unter dem Druck, eine möglichst heile Familie sein zu wollen. Und nicht selten wird ausgerechnet das Weihnachtsfest zu einer familiären Katastrophe, weil wir meinen, alles müsse perfekt sein. Wie viele Vorstellungen haben wir doch im Kopf, wie Weihnachten sein muss.

Wenn wir uns jedoch die Heilige Familie anschauen, finden wir so manches, was unseren Idealvorstellungen widerspricht: Maria und Josef waren kein Ehepaar – zumindest nicht, wie wir uns ein Ehepaar vorstellen. Es ist die Geschichte eines unehelichen Kindes. Für Josef war es nicht unproblematisch, dass dieses Jesuskind nicht von ihm war. Das Kind ist in bitterer Armut geboren, in der Fremde. Nicht in eine bürgerlich abgesicherte Familie hinein, sondern in eine Familie auf der Flucht – auf der Suche nach einem Ort zum Leben in Ruhe und Sicherheit. Mutter und Verwandte leben in Sorge um einen Sohn, der mit über 30 noch nicht verheiratet ist und keinen festen Wohnsitz hat. Und die Mutter muss den gewaltsamen Tod ihres Sohnes erleiden.

Heilige Familie – müsste das nicht irgendwie anders aussehen?

Ich muss gestehen, dass ich dieses familiäre Chaos sympathisch finde, denn es zeigt, dass Gott offensichtlich ein Herz für so ein Durcheinander hat. Lehrt uns das nicht, dass auch wir mehr Herz für solche Lebens- und Familiengeschichten haben müssten? Denn genau in dieses so ganz Menschliche ist Jesus selbst hineingeboren, genau dort ist er Mensch geworden.

Eine wundervolle japanische Tradition feiert die Vollkommenheit der Unvollkommenheit auf eine ganz besondere Weise. Mit der Kintsugi-Technik werden zerbrochene Gefässe weder weggeworfen noch so repariert, dass sie wie neu aussehen. Vielmehr werden Risse im Material mit Gold aufgefüllt und so die einzelnen Teile des Gefässes wieder miteinander verbunden. Durch diese Technik entstehen atemberaubende Kunstwerke, denen man ansieht, dass sie einmal zerbrochen waren, die nun aber durch die goldgefüllten Risse eine ganz eigene und einzigartige Schönheit erhalten haben. Hier wird ein Makel nicht unsichtbar gemacht, sondern im wahrsten Sinne des Wortes vergoldet.

Gold ist die Farbe der Weihnacht. Wie wäre es, wenn es uns gelingen würde, Weihnachten zu einer Art Werkstatt für die Scherben und Brüche in unserem Leben und in unseren Familien werden zu lassen? Eine Werkstatt, in der die zerplatzten Träume und die zerbrochenen Hoffnungen zu einer goldenen Zierlinie werden, wie bei der Vase, deren Scherben sichtbar gemacht werden durch das Gold. Wo Zerbrochenes schöner wird als zuvor, weil die Bruchlinien in Schmuck verwandelt werden.

Vielleicht ist eine Familie ja genau dann eine Heilige Familie, wenn nicht nur die Erfolge zählen, sondern wenn man auch scheitern, wieder neu anfangen und vor allem lieben darf.

Maria und Josef sind trotz allem Widrigen glaubend, hoffend und liebend ihren Weg gegangen. Darauf kommt es an – auch bei uns! Wir dürfen unsere Wege gehen, in der Gewissheit, dass Gott da ist, dass er um uns weiss, uns annimmt und liebt.

Nadia Miriam Keller, Theologin, arbeitet als Spitalseelsorgerin i.A. am St. Claraspital in Basel