02.12.2021 – Editorial

Warten

Als wir im Spätsommer 1982 durch Italien reisten, hatten wir keinen fixen Plan, aber ein grosszügiges Zeitbudget. Hochgeschwindigkeitszüge gab es damals in unserem südlichen Nachbarland noch keine, dafür liessen sich längere Strecken mit Nachtverbindungen zurücklegen. So bestiegen wir eines Abends in Neapel den Zug Richtung Sizilien und erreichten dann irgendwann am nächsten Tag Palermo.

Ob unser Zug pünktlich war, weiss ich nicht mehr, Verspätungen waren damals ein ganz normaler Bestandteil einer Eisenbahnreise durch bella Italia. Dennoch staunten wir, als wir eines Nachmittags im Bahnhof Palermo Centrale den Blick auf die Anzeigetafel der «Arrivi» richteten und feststellten, dass einzelne Züge um viele Stunden später als im Fahrplan vorgesehen ankommen würden.

Mobile Telefone, mit denen sich die Wartezeit kommunikationsmässig hätte überbrücken lassen, gab es damals noch keine. Geduld war nun also angesagt: für jene, die unterwegs waren, aber fast noch mehr für jene, die am Bahnhof warteten. Mit dem x-ten Espresso ging die Hoffnung auf eine baldige Ankunft der erwarteten Liebsten in wachsenden Unmut über.

Seit 1982 hat sich das Leben spürbar beschleunigt. Auch durch Italien brausen nun pfeilschnelle Züge, und dank Mobiltelefonie und Internet kann man die Wartenden nun wenigstens nonstop auf dem Laufenden halten.

Warten lässt sich einfacher aushalten, wenn man eine Perspektive hat. Wer im Minimum ungefähr weiss, wie lange die Wartezeit dauern könnte, kann sich darin einrichten. Wer jedoch befürchtet, endlos und vielleicht sogar vergeblich zu warten, verliert die Geduld, in vielen Fällen eher früher als später.

Und selbst wenn die Phase des Wartens klar begrenzt ist, fällt das Warten nicht immer leicht. Dass es hilfreich ist, Wartezeiten in kleinere Abschnitte zu unterteilen, zeigt das Beispiel des Adventskalenders. Tag für Tag, Bild für Bild oder auch Säckchen für Säckchen nähert man sich Weihnachten.

Mit einem Online-Kalender will «Kirche heute» auch in diesem Jahr die Adventszeit virtuell versüssen. Vom 1. bis 24. Dezember findet man jeden Tag auf der Startseite ein neues Bild mit Inspirationen und Informationen. Die Wartezeit beträgt immer ganz genau 24 Stunden: Jeweils um 6 Uhr in der Frühe geht das neue Fenster auf.

Regula Vogt-Kohler