Wer das Wort ergreift, wird sichtbar, angreifbar – und kann statt Anerkennung Anfeindung ernten. Dann stellt sich die Frage: Wie reagieren? (Foto: S. Hofschlaeger/pixelio.de)
Wer das Wort ergreift, wird sichtbar, angreifbar – und kann statt Anerkennung Anfeindung ernten. Dann stellt sich die Frage: Wie reagieren? (Foto: S. Hofschlaeger/pixelio.de)
24.03.2018 – Impuls

Jesaja 50, 4–7

Gott, der Herr, gab mir die Zunge eines Jüngers, damit ich verstehe, die Müden zu stärken durch ein aufmunterndes Wort. Jeden Morgen weckt er mein Ohr, damit ich auf ihn höre wie ein Jünger. Gott, der Herr, hat mir das Ohr geöffnet. Ich aber wehrte mich nicht und wich nicht zurück. Ich hielt meinen ­Rücken denen hin, die mich schlugen, und denen, die mir den Bart ausrissen, meine Wangen. Mein Gesicht verbarg ich nicht vor Schmähungen und Speichel. Doch Gott, der Herr, wird mir helfen; darum werde ich nicht in Schande enden. Deshalb mache ich mein Gesicht hart wie einen Kiesel; ich weiss, dass ich nicht in Schande gerate.

Einheitsübersetzung

 

Über Niederlagen und andere schmerzhafte Erfahrungen

Wir müssen über schlechte Erfahrungen reden. Da war guter Wille, Engagement, selbstlos und ziemlich grenzenlos. Es ging um eine gute Sache, um Menschen. Wenn man die Möglichkeit hat, muss man sich doch zu Wort melden und auch Taten folgen lassen. Man hat sich also stark gemacht für etwas oder jemanden. Der Haken: Man wird sichtbar. Und das ruft zwangsläufig Kritiker auf den Plan. Die einen finden, das, was man treibe, sei völlig übertrieben, andere meinen, man tue das nur, um selbst gut dazustehen. Wieder andere sehen Sachverhalt und Zielsetzung ganz anders, der Einsatz sei gar kontraproduktiv. Und dann sind da noch die Neider, die zwar nichts Anstrengendes tun möchten, gerne aber doch einmal bekannt würden.
Nehmen Sie sich doch etwas Zeit, und fragen Sie sich, ob in dieser Darstellung auch eine schlechte Erfahrung von Ihnen gemeint sein könnte. Sie haben sich sicher auch schon mal exponiert, vielleicht nicht auf der grossen Bühne, es reicht ja schon, wenn man den Mund aufmacht an einer Generalversammlung oder in der Pfarrei. Oder vielleicht ist der Kreis der Menschen, vor denen man Farbe bekennt, noch kleiner, zum Beispiel die Verwandtschaft.

Eine schlechte Erfahrung oder eine Niederlage ist in jedem Fall bitter. Man ist sicher, dass man eine gute Sache vertreten hat. Aber statt Anerkennung und Dank erntet man Neid, Ablehnung, Anfeindung, oder man wird belächelt, nicht ernst genommen oder schlicht übersehen.

Wie haben Sie reagiert? Haben Sie gedacht: Nie wieder werde ich mich zeigen! Sollen doch die anderen machen, was sie wollen! Ich werde da nicht wieder «den Grind» hinhalten! Schlechte Erfahrungen sind entmutigend. Wir alle brauchen eine grosse Dosis Anerkennung und Applaus, mit Gegenwind können wir meist nicht so gut umgehen. Oder gehören Sie zu denen, die durch Gegnerschaft erst recht in Aktion geraten? Es gibt diese Menschen, die sich umso mehr bestätigt fühlen, je mehr sie angefeindet werden. Ich denke aber, die meisten Menschen mit schlechten Erfahrungen ziehen sich zurück und warten darauf, dass die Wunden verheilen.

Der Jesaja-Text des Palmsonntags bietet Alternativen. Möglichkeit 1: Rechtfertigung durch Berufung auf den höheren Auftrag oder das Gewissen, was wohl im Grunde das Gleiche ist. Dann ist das, was ich tue, nicht mein eigener Entschluss, sondern ich stehe im Dienst einer grossen Sache. Das lässt die Anfeindungen besser abgleiten. Die anderen sind dann nicht gegen mich, sondern gegen das Grosse hinter mir.
Möglichkeit 2: Der Schritt in die Opferrolle. Auf jede Abwehr, besonders auch auf jeden Gegenangriff verzichten, schweigend erdulden, was die anderen mir antun, in der Hoffnung, dass sie sich selbst ins Unrecht setzen. Dann könnte sichtbar werden, wie unschuldig ich bin. Ich könnte Unterstützung bekommen, und eventuell kommen meine Gegner ins Nachdenken darüber, warum ich mich weder vertreiben noch zum Zurückschlagen verführen lasse.

Möglichkeit 3: «Was mich nicht umbringt, macht mich stark.» Ich sehe Widerstand als Chance zum Wachstum. Dafür brauche ich ein «Gesicht, hart wie ein Kiesel». Aber bleibe ich dabei menschlich und berührbar? Ich würde Jesaja – und Ihnen – davon abraten.

Es bleibt die Möglichkeit, sich in diesen Tagen der Karwoche mit den eigenen schlechten Erfahrungen auseinanderzusetzen und im Blick auf das Kreuz das Vertrauen zu stärken, dass ich lernen kann, Dinge besser zu machen und dass Gott mich trägt, sodass ich nicht untergehe.

Ludwig Hesse, Theologe, Autor und Teilzeitschreiner, war bis zu seiner Pensionierung Spitalseelsorger im Kanton Baselland