11.02.2021 – Editorial

Wandel in unseren Köpfen

«Ist es gerecht, dass die Frauen unseres Landes Gesetzen unterstellt sind, die von den Männern allein geschaffen wurden?» So fragte 1929 eine Petition für das Frauenstimmrecht, die von 249 237 Schweizerinnen und Schweizern unterschrieben wurde. Dennoch lehnten es noch 30 Jahre später zwei Drittel der Schweizer Männer ab, den Frauen die gleichen politischen Rechte zuzuerkennen. Erst am 7. Februar 1971 hatte die Mehrheit der Schweizer ihre Meinung geändert: Diesmal stimmten zwei Drittel dafür.

Die zwei Männer-Abstimmungen von 1959 und 1971 sind vielleicht die interessantesten des ganzen 20. Jahrhunderts. Anders als in den meisten Ländern wurde bei uns das Frauenstimmrecht nicht als Folge einer Revolution oder auf Beschluss von ein paar Hundert Parlamentariern eingeführt. Zur Stimmabgabe eingeladen waren beim ersten Anlauf 1 480 555 Schweizer Männer, beim zweiten 1 654 708, und an den Abstimmungen nahmen 66,7 beziehungsweise 57,7 Prozent der Berechtigten teil. Es leuchtet ein, dass die Veränderung von grundlegenden Haltungen in der breiten Bevölkerung mehr Zeit braucht als in einer kleinen politischen Elite.

Umso eindrücklicher ist die gewaltige Wucht, mit der sich der Wandel innert zwölf Jahren Bahn brach. Jetzt ging die Saat der Argumente auf. Dabei zeigten sich Unterschiede zwischen den Konfessionen. Am Tag nach der Abstimmung von 1959 schätzte die «Neue Zürcher Zeitung», dass 37 Prozent der protestantischen Männer mit Ja stimmten, von den Katholiken 25 Prozent. Umso stärker wurde danach die «katholische Schweiz» vom Umschwung erfasst. Im Wallis schnellten die Ja-Stimmen der Männer von der ersten zur zweiten Abstimmung von 30,5 auf 79,9 Prozent hoch. Auch in Luzern und Freiburg wechselten mehr als 40 Prozent aller Stimmenden vom Nein zum Ja.

Es macht den Eindruck, als sei etwas zum Durchbruch gekommen, was lange zurückgehalten wurde. Bemerkenswert ist die Haltung der Kirchenleitung. 1919 berief sich die Schweizer Bischofskonferenz auf das Buch Genesis: Als «blosse Gehilfin» des Mannes sei die Frau nicht für «Mannesrechte» bestimmt – obwohl es in jenem Bibelvers heisst: «Ich will ihm eine Hilfe machen, die ihm ebenbürtig ist.» 1970 schrieb Bischof Nestor Adam von Sitten zum Frauenstimmrecht: «Jede Art der Diskriminierung der persönlichen Rechte muss unterdrückt und aus der Welt geschafft werden, da sie den Absichten Gottes widerspricht.»

Gewandelt haben sich nicht die Absichten Gottes – wohl aber das, was die Kirche als solche versteht.

Christian von Arx