29.10.2020 – Editorial

Herbstfarben

Der Gegensatz könnte kaum krasser sein: Nach einem Wochenende, an dem die Sonne das Rot und Gelb der Blätter zum Leuchten gebracht hat, hört man bereits in der Nacht auf Montag Regen, der die neue Woche einläutet. Bonjour, herbstliche Tristesse!? Dass es dank Umstellung von Sommer- auf Normalzeit wieder eine Stunde «früher» hell wird, ist da ein schwacher Trost. Für viele wiegt dies die Stunde, die es abends schneller dunkel wird, nicht auf.

Schlagen die kürzer werdenden Tage vor allem bei schlechtem Wetter schon im Normalfall aufs Gemüt, kommt nun mit der sich intensivierenden Pandemie eine weitere Belastung hinzu. Die mit den rasant steigenden Zahlen der Angesteckten und vor allem der Hospitalisierten wachsende Anspannung ist spür- und sichtbar. Wer am Sonntag auf Wald- und Feldwegen unterwegs war, fühlte sich nicht nur des Sonnenscheins und der milden Temperaturen wegen an den Frühling erinnert. Wieder weichen die Menschen einander aus, wieder scheint es nur ein Gesprächsthema zu geben.

Ganz im Gegensatz dazu stehen Erlebnisse wie diese: Eine Gruppe Jugendlicher, die sich johlend und maskenlos ins Tram stürzt, eine Frau, die im Einkaufscenter ihre Maske zum Niesen runterzieht, eine weitere Frau, die im Tram ein längeres Telefongespräch mit der Maske am Kinn führt. Gegensätzliche Empfehlungen wie «Grossveranstaltungen sind dank Schutzkonzepten kein Problem» und «Das Virus verbreitet sich dort, wo Menschen zusammenkommen» machen die Sache auch nicht einfacher, und auf Eigenverantwortung und Vernunft zu setzen, funktioniert ganz offensichtlich nicht.

Was gibt uns Hoffnung, woraus können wir Kraft schöpfen? Eine Anleitung für die nächsten Monate gibt der baselstädtische Kantonsarzt Thomas Steffen in einem Interview mit der «Basler Zeitung». Die wichtigsten Botschaften: Es wird eine lange Geschichte sein, wir müssen uns auf die kommende Zeit einstellen, und wir müssen eine Perspektive haben, ein Ziel, auf das wir uns konzentrieren können. «Und wenn wir das Ziel gemeinsam ansteuern, ist die Chance höher, dass wir eher und besser ankommen.»

Allerheiligen erinnert uns daran, dass wir dieses Ziel nicht ohne Verlust erreichen werden. Eine Pandemie ohne Todesfälle und Leid sei leider weit weg von der Realität, sagt Steffen. «Wir müssen einen neuen Umgang mit dem Tod und dem menschlichen Leid finden.»

Regula Vogt-Kohler