Kurt Koch, ehemaliger Bischof von Basel und Kurienkardinal seit 2010, bei einem Anlass in der Kirche St. Peter und Paul in Oberwil BL im November 2015. | © Archiv kh/Alois Schuler
Kurt Koch, ehemaliger Bischof von Basel und Kurienkardinal seit 2010, bei einem Anlass in der Kirche St. Peter und Paul in Oberwil BL im November 2015. | © Archiv kh/Alois Schuler
05.03.2020 – Hintergrund

«Ökumenische Situation ist heute unübersichtlicher»

Am 15. März feiert Kurt Koch, der einzige Schweizer Kurienkardinal, seinen 70. Geburtstag

Kurt Koch ist im Vatikan für die Ökumene und den Dialog mit den Juden zuständig. Im Interview blickt der Kardinal auf sein Leben zurück und berichtet von den aktuellen Herausforderungen der Ökumene.

Welche Momente Ihres bisherigen Lebenswegs liegen Ihnen besonders am Herzen?

Kurt Koch: Mein bisheriges Leben besteht aus vielen Überraschungen. Nach drei reichen Jahren als Vikar an der Marienkirche in Bern habe ich mich in Luzern der theologischen Wissenschaft gewidmet. Darin habe ich meine Bestimmung und meine Aufgabe gesehen. Nach nur sechs Jahren bin ich dann Bischof von Basel geworden, und nach weiteren fünfzehn Jahren bin ich nach Rom berufen worden, um mich in der weltweiten Kirche der Ökumene zu widmen. Die Berufung ist dieselbe geblieben. Bei allen diesen Weichenstellungen ist es mein Hauptanliegen gewesen, die kostbare Botschaft des christlichen Glaubens in der Gemeinschaft der Kirche zu fördern und an die Menschen heute weiterzugeben.

In Ihrer Jugend fand das Zweite Vatikanische Konzil statt. Welche persönliche Erinnerung haben Sie daran?

Als das Zweite Vatikanische Konzil eröffnet worden ist, habe ich in Luzern das Gymnasium begonnen. Während der ganzen Dauer des Konzils habe ich es aufmerksam verfolgt und bin überzeugt gewesen, dass es der Kirche einen neuen Frühling bringen wird. Es ist für mich nach wie vor die Magna Charta der katholischen Kirche auch im dritten Jahrtausend. Mit ihm ist die katholische Kirche erneuert worden, es hat uns aber nicht, wie heute oft behauptet wird, einen neuen Glauben und eine neue Kirche gebracht. Damit es auch heute fruchtbar werden kann, ist es angezeigt, seine reichen Dokumente erneut zu lesen und sich anzueignen.

Wie haben Sie Ihre priesterliche Berufung erlebt? Und welchen Ratschlag würden Sie heute einem jungen Katholiken geben, der unsicher über diese Berufung ist?

Den Gedanken, Priester zu werden, hatte ich bereits in der ersten Schulklasse, weil ich einem authentischen Pfarrer begegnen durfte, der mich überzeugt hat. Natürlich hat sich im Laufe der Schulzeit der Gedanke modifiziert, die Berufung jedoch ist geblieben. Ein junger Katholik hat es heute gewiss nicht mehr so leicht wie damals, wenn er sich mit demselben Gedanken trägt. Ich würde ihm raten, seine Berufung immer wieder im Gebet mit Gott zu erwägen und sie auch mit Mitchristen und Mitchristinnen zu besprechen. Wenn er zur inneren Gewissheit kommt, würde ich ihn gerne ermutigen, da ich keinen schöneren, reichhaltigeren und vielfältigeren Beruf kenne als denjenigen des Priesters.

Sie sind im Vatikan für die Ökumene zuständig. Wie versteht der Vatikan den ökumenischen Dialog?

Wir haben in der katholischen Kirche den grossen Vorteil, dass sie mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil in offizieller Weise in die ökumenische Bewegung eingetreten ist und dass seither alle Päpste ein offenes Herz für die Ökumene haben und sie fördern. Was die Situation in Rom von der in der Schweiz unterscheidet, ist dies, dass Ökumene nicht nur Dialog zwischen Katholiken und Reformierten bedeutet, sondern dass wir Dialoge mit ungefähr zwanzig verschiedenen Kirchen und Gemeinschaften führen, und zwar in der Überzeugung, dass eine Einheit, die nicht das Ganze im Auge behält, wieder neue Spaltungen schaffen könnte, und dass deshalb zur Einheit auch Ost und West gehören. Dieser Reichtum weitet den Horizont, und ich habe dabei viel dazugelernt.

Wo sehen Sie heute die grössten Herausforderungen in der Ökumene?

Eine grosse Herausforderung erblicke ich darin, dass immer neue Dialogpartnerinnen und -partner in die ökumenische Bewegung eintreten. Heute stellen wir vor allem ein enormes Wachstum von evangelikalen und pentekostalischen Bewegungen fest. Der Pentekostalismus ist heute die zweitgrösste Realität nach der katholischen Kirche. Damit hat sich die weltweite Geografie der Christenheit tiefgreifend verändert, und die ökumenische Situation ist unübersichtlicher geworden. Damit hängt zusammen, dass die Partner in der ökumenischen Bewegung in recht unterschiedlicher Weise verstehen, was zur Einheit der Kirche gehört. Das Problem besteht dann darin, dass man sich weithin einig ist über das Dass der Einheit, aber uneinig über das Was. Deshalb muss neu um eine gemeinsame Sicht des Ziels der Ökumene gerungen werden.

Und wo sind Ihrer Meinung nach die schwierigsten Felder innerhalb der katholischen Kirche?

Die katholische Kirche ist heute – mit Recht – stark an der Aufarbeitung der belastenden Hypothek der sexualisierten Gewalt an Kindern und dem Wiedergewinnen von neuem Vertrauen beschäftigt. Auch in pastoraler Hinsicht stehen wir vor grossen Veränderungen, die wir mit Gottvertrauen wahrnehmen sollten. Die grundsätzliche Herausforderung besteht darin, wie es der Kirche gelingt, die schöne Botschaft des Evangeliums in einer immer mehr säkularisierten Gesellschaft so zu verkünden, dass sich auch der Mensch von heute in seinem Innern angesprochen weiss. Dies gelingt nur, wenn die Verkündigung des Glaubens ursprungsgetreu und zeitgemäss zugleich vollzogen wird. Denn die Botschaft können wir nicht neu erfinden, sie ist uns in der Offenbarung vorgegeben; aber sie muss so in die heutige Zeit übersetzt werden, dass sie vom heutigen Menschen verstanden werden kann.

Interview: Mario Galgano, Schweizer Redaktor bei Vatican News