Durch das Auge dringt das Licht ins Innere des Menschen und lässt ihn von innen heraus licht und hell werden. | © D Sharon Pruitt/Pink Sherbet Photography/wikimedia
Durch das Auge dringt das Licht ins Innere des Menschen und lässt ihn von innen heraus licht und hell werden. | © D Sharon Pruitt/Pink Sherbet Photography/wikimedia
05.12.2019 – Impuls

Lukas 11,34f

Die Leuchte des Leibes ist dein Auge. Wenn dein Auge gesund ist, dann ist dein ganzer Leib hell. Wenn es aber krank ist, dann ist auch dein Leib finster. Achte also darauf, dass das Licht in dir nicht Finsternis ist!

Einheitsübersetzung 2016

 

Ein Augenblick fürs Augenlicht

Jetzt sind sie wieder da, die langen Nächte und die kurzen Tage. Ob wir einen Augenblick finden, über die wichtigen Dinge und die ungelösten Rätsel nachzudenken? Zum Beispiel über die von den Wissenschaften meines Wissens nach wie vor nicht beantwortete Frage, was denn eigentlich Licht sei – eine Welle oder Elementarteilchen? Oder weder noch, oder sowohl als auch? Ob es einfacher ist, das Licht über sein Gegenteil, die Finsternis, zu definieren? Oder darüber, worin denn der Unterschied bestehe zwischen «Finsternis» und «Dunkelheit»? Wir können, was in dieser Jahreszeit tausendfach geschieht, einer brennenden Kerze zuschauen und darauf achten, was passiert: Ob das Licht die Finsternis vertreibt, oder ob umgekehrt die Finsternis das Licht verschlingt?

Von da ist es bloss ein kleiner Schritt zu der einfach wuchtigen Behauptung des Johannes: «Gott ist Licht, und keine Finsternis ist in ihm», so in seinem Ersten Brief (1,5). Oder wenn er in seinem Prolog (Joh 1,5) das Kommen von Christus ankündigt, knapp und präzis: «Das Licht leuchtet in der Finsternis, und die Finsternis hat es nicht erfasst.» Licht und Finsternis – ein Geheimnis, oder ein Phantom, eine «Erscheinung», oder blosse Wahrnehmung unserer Augen? Wenn es so wäre, wie könnte man dann vom «Augenlicht» reden?

Dieses schöne Wort lässt denken an Jesu Ausspruch über das gesunde Auge, durch welches das Licht ins Innere des Menschen eindringt und ihn von innen heraus licht und hell werden lässt. Das Bildwort Jesu hält sich nicht an anatomische Befunde. Vielmehr greift es die tief menschliche Erfahrung auf, dass nämlich die Augen – der Gesichtssinn – dem Menschen Persönlichkeit und Charakter verleihen und auch innerseelische Vorgänge nach aussen tragen. «Schaut dein Auge neidisch, weil ich gütig bin?», lautet eine entlarvende Frage, der wir im Matthäusevangelium begegnen (20,15).

Die Legende, die sich ums Leben der heiligen Odilia rankt, hebt diese Zusammenhänge ans Licht, sie verbindet Licht und Finsternis, das innere und das äussere Auge. Sie berichtet, der blind geborenen Odilia sei, als sie als zwölfjähriges Mädchen die Taufe empfing, nicht nur das Licht des Glaubens, sondern auch das Augenlicht geschenkt worden. Erzählt wird, dass sie trotz einer dramatischen Kinder- und Jugendzeit und nach einer konfliktreichen Vater-Tochter-Beziehung konsequent ihren Weg gegangen sei, auf dem sie schliesslich zur Klostergründerin, zur Äbtissin und zur Patronin des Elsass wurde.

Zusammen mit der andern vorweihnachtlichen Lichtgestalt, der heiligen Luzia, deren die Kirche ebenfalls am 13. Dezember gedenkt, lädt uns Odilia ein, uns der unerklärlichen Schönheit des Lichts zu öffnen und uns diesem rätselhaften Phänomen auszusetzen, ohne welches unsere Welt und unser Leben unvorstellbar und unsichtbar bleiben und für immer im schattenhaften Nichts versinken müssten. Achten Sie auf ein lichtvolles Bibel-Wort: «Und Gott sprach: Es werde Licht; und es wurde Licht» (Genesis 1); «Bei dir ist die Quelle des Lebens, in deinem Licht schauen wir das Licht» (Psalm 36); «Ich bin das Licht der Welt; wer mir nachfolgt, geht nicht in der Finsternis, sondern hat das Licht des Lebens» (Johannes 8). Falls Ihnen dabei ein Licht aufgeht, nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit fürs folgende Gebet:

«Wir gehen durch eine Welt voll Zwielicht und Schatten. Lass dein Licht in unseren Herzen aufstrahlen und führe uns durch das Dunkel dieses Lebens in deine unvergängliche Klarheit.»

Peter von Sury, Abt des Benediktinerklosters Mariastein