Am Münster gibt es vieles zu entdecken: Zum Beispiel diese Metallklammern unterhalb des Glücksrads, die seit dem Erdbeben 1356 einen Riss überbrücken. | © Regula Vogt-Kohler
Am Münster gibt es vieles zu entdecken: Zum Beispiel diese Metallklammern unterhalb des Glücksrads, die seit dem Erdbeben 1356 einen Riss überbrücken. | © Regula Vogt-Kohler
03.12.2019 – Aktuell

In den Münsterwänden stecken noch ein paar Geheimnisse

Der Kunstdenkmälerband «Das Basler Münster» trägt das vorhandene Wissen in einer Gesamtschau zusammen

Im Jubiläumsjahr war viel die Rede von Kaiser Heinrich II., dessen Interesse für Basel von zentraler Bedeutung für die Entwicklung der Stadt am Rheinknie war. Der Kunstdenkmälerband «Das Basler Münster» stellt den Bau ins Zentrum – in einer umfassenden Gesamtschau, mit neuen Bildern, Plänen und Rekonstruktionsvorschlägen.

Wie sah es aus, das Münster, das 1019 geweiht wurde? Was stand vorher auf der Anhöhe über dem Rhein, die wir heute Münsterhügel nennen? Wie lief die Liturgie im fertig gebauten spätgotischen Münster am Vorabend der Reformation ab, und warum scheint Martin seinen Mantel mit einem Baumstrunk zu teilen?

Der in der Reihe «Die Kunstdenkmäler der Schweiz» erschienene Band über das Basler Münster beantwortet viele Fragen. Die Basis dafür bilden die Aufarbeitung bisheriger Forschungen, zahlreiche neu erschlossene Schrift- und Bildquellen sowie neueste restauratorische und bauarchäologische Befunde. Das Buch enthält zudem eine erstmalige Darstellung der vor- und nachreformatorischen Ausstattung und Möblierung.

Ein Gemeinschaftswerk

Die Autorinnen und Autoren der einzelnen Beiträge arbeiteten auch als Team. «Der grosse Gewinn ist, dass das Buch alle Informationen zusammenträgt und gegenseitig abgleicht», betonte Münsterbaumeister Andreas Hindemann anlässlich einer Präsentation in der Buchhandlung Bider & Tanner. Anne Nagel, Mitautorin und Verantwortliche für die wissenschaftliche Redaktion, sagte es so: «Das Buch ist durch und durch ein Gemeinschaftswerk.» Jeder bzw. jede habe die Texte der anderen gelesen und auch reflektiert.

Eine Antwort gibt es unter anderem auf die Frage, wie alt die ältesten Teile des Georgturms sind. Ursprünglich dürfte die Westfassade noch turmlos gewesen sein, doch sei davon auszugehen, dass in der Zeit nach 1100 eine Doppelturmfassade geplant war. Entscheidend für die Datierung ist die gut sichtbare Blendbogengliederung. Beim Neubau in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts wurden der nördliche Fassadenturm und die Kryptenanlage übernommen.

Nach dem Erdbeben die Gotik

Das um 1230 fertiggestellte spätromanische Münster wies gleich fünf Türme auf. Wie es ausgesehen haben könnte, zeigt ein Rekonstruktionsversuch (Seite 114). Das Erdbeben von 1356 bereitete dieser Herrlichkeit ein Ende. Beim Wiederaufbau war die Gotik das prägende Stilelement. Teilweise sei sehr behelfsmässig gebaut worden, sagte Hindemann. So wurde ein Riss unterhalb des Glücksrads am Nordquerhaus mit Metall verklammert.

Die Katastrophe sei willkommener Anlass zur Modernisierung gewesen, heisst es im Buch. Kurz zuvor, im Jahr 1347, waren Reliquien von Heinrich II. und Kunigunde nach Basel gekommen, und diese galt es nun gebührend zu inszenieren. Kaum war das spätgotische Münster fertig gebaut, kam die Reformation. Zwar wurden beim Bildersturm 1529 viele Kunstschätze zerstört, doch der bauliche Nachvollzug der Reformation erfolgte erst allmählich. Bei einer Renovation 1597 traf es die Martinsgruppe am Südturm. Der Geistlichkeit waren beide Reiterstatuen an der Fassade ein Dorn im Auge, doch widersetzte sich der Rat der geforderten Entfernung und liess als Kompromiss den Bettler der Martinsgruppe in einen Baumstrunk umarbeiten.

Ein paar Geheimnisse bleiben aber noch. So würde der Münsterbaumeister gerne in die Wände hineinschauen, um eine These zu überprüfen, gemäss der viel mehr vom frühromanischen im spätromanischen Münster steckt als man meint. Anne Nagel möchte sich ins Spätmittelalter zurückbeamen lassen, um zu erleben, wie das damals im Münster war – «mit den vielen Altären, den Kerzen, den Prozessionen und den Malereien».

Regula Vogt-Kohler