10.10.2019 – Editorial

Post aus dem Elsass

Zu den Freuden und Leiden jeder Zeitungsredaktion gehört die Post von ihren Leserinnen und Lesern. Da gibt es kritische Rückmeldungen, Tadel, Reklamationen. Zum Glück auch Aufmunterung und interessante Anregungen. Und ab und zu kommt eine Mitteilung, die einem wie ein Zeichen aus einer anderen Welt vorkommt.

Von dieser Art ist ein Brief, der die Pfarrblattredaktion dieser Tage aus Frankreich erreicht hat (ja, auch im Elsass hat «Kirche heute» ein paar treue Leser). Auf zwei Seiten, handgeschrieben, gibt ein 83-jähriger Mann Einblick in seine Lebenssituation nach 57 Ehejahren: Da sind die Ehefrau, drei Kinder und vier Enkelkinder. Vor einigen Jahren, so berichtet er, habe «unsere Mutter langsam das Gedächtnis verloren». Dazu kommt eine chronische Krankheit, die täglich ein Medikament erfordert. Und nun, in den letzten Monaten, starb der alten Frau ein Fuss ab und musste amputiert werden. Nach der Operation kann sie in einem speziellen Krankenbett zu Hause gepflegt werden. «Ist immer noch die brave Mutter», lese ich im Brief.

Einen Leidensgenossen sieht der Pfarrblattleser im früheren Papst Johannes Paul II., dessen letzte Lebensjahre von schweren Krankheiten geprägt waren. Stärkung findet das Ehepaar in regelmässigen Besuchen in Mariastein. Auch am Tag der Operation reisten Vater und Sohn nach Mariastein, «wie wenn unsere Mutter dabei wäre», und waren in Gebet und Gedanken bei der Mutter.

Der ganze Bericht liest sich wie ein mündliches Erzählen, man hört in jedem Satz die elsässische Mundart des Schreibers heraus. Am Schluss erwähnt er, dass er sich selbst zum Geburtstag «D’Biwel uf Elsässisch» geschenkt habe. Aus dieser 2016 erschienenen Mundartübersetzung zitiert er eine Stelle, die ihn besonders anspricht: «Wer e güeti Frau het, isch e glicklicher Mann, er läbt doppelt so lang. E güeti Frau isch fer ihre Mann e Freid, er verbring sini Johre in Fridde. E güeti Frau isch e grosses G’schenk, de Herr gibt se denne, wo Ehrfurcht vor em han. Ob er rich odder arm isch, er isch zefridde un sin G’sicht isch immer froh». Diese Verse stammen aus dem Buch Jesus Sirach, Kapitel 26.

In diesem Monat der Weltmission weisen uns die Bischöfe darauf hin, dass mit «Mission» die Sendung eines jeden und einer jeden Getauften gemeint ist. Das stellt uns vor die Frage: Was ist denn meine Sendung, mein Auftrag? – Mir scheint, der alte Mann aus dem Elsass hat seine Mission gefunden.

Christian von Arx