Alleinerziehend – das war auch das Schicksal der Johanna Franziska von Chantal. Ihren Orden gründete sie mit der Vorstellung, dass sich die Schwestern ganz dem Leben zuwenden sollten. | © Thomas Plain/Caritas Schweiz
Alleinerziehend – das war auch das Schicksal der Johanna Franziska von Chantal. Ihren Orden gründete sie mit der Vorstellung, dass sich die Schwestern ganz dem Leben zuwenden sollten. | © Thomas Plain/Caritas Schweiz
08.08.2019 – Impuls

Sprichwörter 31,10.13.16.20.25–26

Eine tüchtige Frau, wer findet sie? Sie übertrifft alle Perlen an Wert.
Sie sorgt für Wolle und Flachs und arbeitet voll Lust mit ihren Händen.
Sie überlegt … und kauft einen Acker, vom Ertrag ihrer Hände pflanzt sie einen Weinberg.
Sie öffnet ihre Hand für den Bedürftigen und reicht ihre Hände dem Armen.
Kraft und Würde sind ihr Gewand, sie spottet der drohenden Zukunft.
Sie öffnet ihren Mund in Weisheit und Unterweisung in Güte ist auf ihrer Zunge.

Einheitsübersetzung 2016

 

Mitten im Leben

«Leben braucht Care», so lautet das Thema des diesjährigen ökumenischen Frauenkirchenfestes Aargau. Was ist Care? Im Flyer steht: «Es ist wie mit der Sonne: Care spendet nicht nur Licht und Wärme, sondern ist der Bezugspunkt, um den sich alles dreht. Care geht uns alle an, ohne Care gibt es keine Menschen. Care ist Sorge, Fürsorge, sich kümmern um das Leben und die Bedürfnisse von Menschen.» Meistens ist diese Arbeit unsichtbar und unbezahlt.

Als ich diesen Flyer in der Hand hielt, kam mir die Heilige Johanna Franziska von Chantal wieder in den Sinn. Mich fasziniert, dass ihr Leben der Sorge als alleinerziehende Mutter um ihre grosse Familie – ihr Mann war früh gestorben – und dem Aufbau des Ordens der Salesianerinnen galt. Der Orden sollte sich um das Leben vor allem junger Frauen kümmern. Ihre Vorstellung einer geistlichen Gemeinschaft war, ohne Klausur, aktiv und betend – mitten im Leben – engagiert zu sein.

In der damaligen Zeit, vor rund 400 Jahren, war dies ihrer Zeit voraus. Mehrere religiöse Frauen standen damals für einen mutigen, selbstbewussten religiösen Aufbruch wie Teresa von Ávila in Spanien und Mary Ward in England. Alle gründeten trotz Widerstands vonseiten der Kirche Frauenorden. So musste Johanna Franziska von Chantal mit der Unterstützung ihres geistlichen Begleiters, des Bischofs Franz von Sales, ihre damals modernen Ansichten der Zeit anpassen.

Ihr bodenständiges Engagement für die Familie und den Aufbau eines Frauenordens könnte Anstoss geben, sich dem Leben zuzuwenden und sich hinzugeben, eben Care zu leben. Zu betonen ist, dass sie beides miteinander in Einklang brachte: Das Dasein für ihre Kinder und den Aufbau eines Ordens. Die Verbindung von «ganz in der Welt sein» und einem geistlichen Weg kann ansteckend sein. So ist es nicht verwunderlich, dass Johanna Franziska von Chantal beispielsweise für eine glückliche Geburt angerufen wurde. Denn diese Heilige lebte ganz und gar, modern ausgedrückt, «Care».

Solche Gestalten können Frauen und Männer ermutigen, sich für das allumfassende Leben zu entscheiden, und zwar konkret. Die Verteidigung der Satelliten im Weltall, der Kampf der Nationen um die nächste Mondlandung, das Entwickeln der Künstlichen Intelligenz, die meiner Meinung nach zunehmende Verrohung in der Gesellschaft sind nicht alles. Die beängstigende weltweite Klimaerwärmung schreit zum Himmel. Die Vorstellung, dass die Arktis dahinschmilzt und Menschen in Indien nicht mehr ohne Temperaturen über 50 Grad leben können, erschlägt uns, wenn wir uns einen Moment darauf einlassen. Welche Welt hinterlassen wir?

Care, Sorge, Fürsorge im besten Sinn, Zuwendung, Nachhaltigkeit und sich um das Leben kümmern: Das ist der Ruf der Stunde.

Am Sonntag, an dem ich diese Gedanken schreibe, saugt die trockene Erde den Regen auf. Sie atmet auf, die Tiere trinken das kostbare Gut, das Grün der Pflanzen wird wieder sichtbar, die Menschen atmen auf. Die Dankbarkeit für all das spornt mich an, in mich zu gehen, zu danken, zu bitten und ganz im Sinne der Heiligen vor uns und mit uns – so glauben es die orthodoxen Christen – sich dem Leben erneut zuzuwenden und es konkret zu hegen und zu pflegen.

Anna-Marie Fürst, Theologin, arbeitet in der Gefängnisseelsorge und in der Seelsorge für Menschen mit Behinderung in den Kantonen Basel-Stadt und Zug.