Dank dieser Auswahlausgabe aus dem  Jahr 2016 – im Bild der Buchumschlag – können Interessierte heute die vor 700 Jahren geschaffene Pionierarbeit der Bibelüber­setzung aus dem alemannischen Raum zur Kenntnis nehmen. | © zVg
Dank dieser Auswahlausgabe aus dem  Jahr 2016 – im Bild der Buchumschlag – können Interessierte heute die vor 700 Jahren geschaffene Pionierarbeit der Bibelüber­setzung aus dem alemannischen Raum zur Kenntnis nehmen. | © zVg
18.07.2019 – Aktuell

Die ganze Bibel auf Deutsch – schon vor 700 Jahren

Die älteste ganz erhaltene Bibel in deutscher Sprache stammt aus dem Raum der heutigen Schweiz

Die Verbreitung der Bibel auf Deutsch gilt zu Recht als ein Verdienst der Reformation. Aber Klosterfrauen im Raum Zürich wollten schon zweihundert Jahre früher selber verstehen, was in der Bibel steht. So entstand die älteste bis heute erhaltene vollständige Bibel in deutscher Sprache.

 

Im Mittelalter war Latein die Sprache der Bibel. Die katholische Kirche hielt bis ins 20. Jahrhundert an der lateinischen Vulgata als der einzig massgebenden Bibel fest. Übersetzungen in die modernen Sprachen betrachtete die Kirchenobrigkeit lange Zeit als gefährlich, sie wurden bekämpft. Nur wer Latein gelernt hatte, konnte die Bibel lesen. Alle andern hörten durch die Priester von der Bibel.

Die Reformatoren änderten das. Von 1522 bis 1534 erschien im sächsischen Wittenberg die deutsche Übersetzung von Luther und seinen Mitarbeitern, von 1524 bis 1529 in Zürich diejenige des Kreises um Zwingli. Beide schöpften direkt aus den griechischen und hebräischen Ursprachen. Und dank des Buchdrucks erreichten ihre deutschen Bibeln viel weitere Leserkreise als zuvor.

Die Bibel in der Muttersprache: Diesem bahnbrechenden Unternehmen schlossen sich die Katholiken mit grosser Verspätung im 19. Jahrhundert «von unten her» an, und erst 1965 machte sich Rom dieses Ziel am Konzil zu eigen. Umso erstaunlicher wirkt es, dass im Raum der heutigen Schweiz schon Jahrhunderte vor der Reformation vollständige Bibeln auf Deutsch in Gebrauch standen.

Es waren gebildete Schwestern des damals jungen, modernen Predigerordens, also Dominikanerinnen, die die Bibel unbedingt in ihrer Sprache hören und lesen wollten. Nach Erkenntnis der Forschung hat wahrscheinlich der Zürcher Dominikaner Marchwart Biberli zwischen 1300 und 1325 die ganze Bibel für seine Ordensschwestern aus dem Latein in die damals bei uns gesprochene Sprache übersetzt: Die Bibel in einem frühen «Schweizerdeutsch», 200 Jahre vor Luther und Zwingli. Sein Werk fand durch Abschriften im alemannischen Raum Verbreitung und wurde noch 1464 in Basel in einer Prachtausgabe abgeschrieben, die heute vollständig erhalten in Wien liegt. Auszüge daraus sind für alle Interessierten in einem handlichen Büchlein greifbar.

Christian von Arx