16.05.2019 – Editorial

Zwischendrin

Der Winter ist längst vorbei, doch die warme Jahreszeit hat sich noch nicht durchsetzen können. Wenn man aus dem Fenster schaut, sieht es wie Frühling aus, aber wenn man dann draussen im kalten Wind steht, fühlt es sich nicht so an, selbst wenn die Sonne scheint. Wir befinden uns in einer Art von Zwischendrin, nicht nur wettermässig.

Der Muttertag liegt hinter uns, der Frauenstreiktag vor uns. Eben noch standen die Mütter auf dem Podest, erhielten Blumen, Süssigkeiten und allerlei Gebasteltes für ihr nimmermüdes Engagement in der Familie. Inzwischen sind sie längst wieder in den Niederungen des Alltags angelangt, begehen den Muttertag Tag für Tag (inklusive Nächte), einfach ohne Blumen.

Doch lassen wir den jährlich wiederkehrenden Ärger über einen Tag, der in seiner heutigen Form weniger die Mütter als den Kommerz ins Zentrum stellt. Noch bleiben ein paar Wochen bis zum 14. Juni, da ist auch Zeit, sich an den ersten Frauenstreik im Jahr 1991 zu erinnern. Zehn Jahre nach der Annahme des Gleichstellungsartikels in der Schweizer Bundesverfassung hatten die Frauen die Geduld verloren und forderten die Umsetzung des verfassungsrechtlichen Grundsatzes auf Gesetzesstufe. Auf ganz konkreter Ebene ging es um Lohngleichheit, bessere Ausbildungschancen für Frauen, Gleichstellung in der sozialen Sicherheit, Blockzeiten in den Schulen, die Aufteilung der Hausarbeit zwischen Mann und Frau und so weiter.

Es sind Anliegen, die dem Ursprung des Muttertags entsprechen: der Kritik an der Benachteiligung von Frauen. Und 28 Jahre, das heisst also eine gute Generation später, sind längst nicht alle Forderungen erfüllt. Blockzeiten in den Schulen sind schon lange eine Selbstverständlichkeit und haben Mütter (und natürlich auch Väter) vom Terror der unterschiedlichen Stundenpläne ihrer Sprösslinge befreit. In vielen Bereichen sind wir aber noch mehr oder weniger weit von der vollen Gleichberechtigung entfernt.

Dazu gehört insbesondere unsere Kirche. Dieser wunde Punkt war bereits 1991 im Pfarrblatt ein Thema. «Was wäre, wenn Frauen – Mütter, Katechetinnen und alle anderen dienenden weiblichen Wesen – wirklich streiken würden? Nicht nur für einen Tag …» hiess es da beispielsweise. Und: «Was Frauen wollen, ist weder Lob noch Mitleid. Was wir wollen, ist Anerkennung für unsere Leistungen. Was wir brauchen, ist Gerechtigkeit.»

Regula Vogt-Kohler