Darstellung der Elisabeth von Thüringen mit Rosen (Josefsaltar der Heiliggeistkirche, Basel). | © Carsten Gross
Darstellung der Elisabeth von Thüringen mit Rosen (Josefsaltar der Heiliggeistkirche, Basel). | © Carsten Gross
04.11.2021 – Impuls

Matthäus 4,4

Jesus antwortete: In der Schrift heisst es: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von jedem Wort, das aus Gottes Mund kommt.

Einheitsübersetzung 2016

 

Wenn das Brot, das wir teilen, zur Rose wird

Von Rainer Maria Rilke wird die folgende Geschichte erzählt:

«In Paris ging Rilke regelmässig über einen Platz, an dem eine Bettlerin sass, die um Geld anhielt. Ohne je aufzublicken, ohne ein Zeichen des Bittens oder Dankens zu äussern, sass die Frau immer am gleichen Ort.

Rilke gab nie etwas, seine französische Begleiterin warf ihr häufig ein Geldstück hin. Eines Tages fragte die Französin verwundert, warum er ihr nichts gebe. Rilke antwortete: ‹Wir müssen ihrem Herzen schenken, nicht ihrer Hand.›

Wenige Tage später brachte Rilke eine eben aufgeblühte weisse Rose mit, legte sie in die offene, abgezehrte Hand der Bettlerin und wollte weitergehen. Da geschah das Unerwartete: Die Bettlerin blickte auf, sah den Geber, erhob sich mühsam von der Erde, tastete nach der Hand des fremden Mannes, küsste sie und ging mit der Rose davon.

Eine Woche lang war die Alte verschwunden, der Platz, an dem sie vorher gebettelt hatte, blieb leer. Nach acht Tagen sass sie plötzlich wieder an der gewohnten Stelle. Sie war stumm wie damals, wiederum nur wieder ihre Bedürftigkeit zeigend durch die ausgestreckte Hand. ‹Aber wovon hat sie denn in all den Tagen gelebt?›, fragte die Französin. Rilke antwortete: ‹Von der Rose …›»

Eine Rose wird zum Brot und nährt. Ein Wunder. Wie sehr leben wir von Zeichen, die uns aufrichten, nähren, stärken. Das Brot wandelt sich zur Rose, zum Symbol der Liebe. Ein solches Wunder finden wir in der Legende der heiligen Elisabeth. Vielleicht eine der bekanntesten Heiligen auch in Basel: Die Elisabethenkirche ist nach ihr benannt, die Elisabethenvereine tun in ihrem Namen Gutes.

Im 13. Jahrhundert hat sie gelebt, war glücklich verheiratet und sorgte grosszügig für die Armen und Kranken im Herrschaftsbereich ihres Mannes Ludwig. Der Legende nach haben sich die Brote, die sie im Korb zu den Armen trug, bei der Kontrolle durch ihren Mann, der nicht wollte, dass sie so freigebig war, in Rosen verwandelt.

Als sie mit 20 Jahren zur Witwe wurde, stand sie mit ihren drei Kindern allein da und war nun selber auf die Barmherzigkeit ihrer Verwandten angewiesen. Sie arbeitete hart in der Krankenpflege und Diakonie, lebte streng asketisch und erlebte Visionen voller Glück. Mit nur 24 Jahren starb Elisabeth.

Die Rosen, mit denen sie häufig dargestellt wird, symbolisieren die Liebe, die sie ausgestrahlt hat: zu ihrem Mann, ihren Kinder, zu allen Menschen. Elisabeth: eine Heilige auch für unsere Zeit. Das ist Elisabeths Vermächtnis: Den Armen und Ausgegrenzten ihre Würde wiederzugeben, für die Randständigen und Rechtlosen einzutreten.

Ein Lied bringt schön in Worte, was ihr Leben bedeutet:

Wenn das Brot, das wir teilen, als Rose blüht

und das Wort, das wir sprechen, als Lied erklingt,

dann hat Gott unter uns schon sein Haus gebaut,

dann wohnt er schon in unserer Welt.

Ja, dann schauen wir heut schon sein Angesicht

in der Liebe die alles umfängt,

in der Liebe die alles umfängt.

(Claus-Peter Merz, in: rise up. Ökumenisches Liederbuch für junge Leute.)

Dorothee Becker, Theologin und Seelsorgerin, Gemeindeleiterin der Pfarrei St. Franziskus, Riehen-Bettingen