Früher hat Modeste Traoré vom Fischfang gelebt. Da der Wegnia-See in Mali langsam austrocknet, muss er jetzt in der Landwirtschaft ein Auskommen suchen. Mali, 2021. | © John Kalapo/Caritas Schweiz
Früher hat Modeste Traoré vom Fischfang gelebt. Da der Wegnia-See in Mali langsam austrocknet, muss er jetzt in der Landwirtschaft ein Auskommen suchen. Mali, 2021. | © John Kalapo/Caritas Schweiz
01.07.2021 – Hintergrund

Was heisst Klimagerechtigkeit?

Sozialethische Überlegungen zu unserer Verantwortung gegenüber ärmeren Ländern

Die Verantwortung für den Zustand des Weltklimas tragen nicht die Menschen in Subsahara-Afrika mit ihrem geringen CO2-Ausstoss pro Kopf. Es sind die Bevölkerungen der industrialisierten Länder, die das Klima übernutzen und verschmutzen. Sie tragen daher auch die wesentliche Verantwortung für die Bekämpfung der Klimaschäden.

Jede durchschnittliche Schweizerin stösst pro Jahr zwölf Tonnen CO2 aus. Ein Äthiopier verbraucht einen Hundertzwanzigstel davon, nämlich 0,1 Tonnen CO2 pro Jahr. Das macht deutlich: Der Zugriff auf die weltweiten Ressourcen ist höchst ungleich verteilt. Die Ungerechtigkeit wird aber noch weiter verschärft, indem ausgerechnet jene Länder der Welt, die nur einen Bruchteil des globalen Klimawandels zu verantworten haben, durch diesen besonders geschädigt werden.

Doppelte Ungerechtigkeit

Hinzu kommt eine zweite Ungleichheit, nämlich die extreme Armut, welche für sich allein schon eine globale Herausforderung ist. Die globale Gemeinschaft hat die weltweite Armut in den letzten Jahrzehnten trotz verschiedensten Programmen, Vereinbarungen und Visionen nicht in den Griff bekommen. Gemäss Statistiken der UNO waren 2019 weltweit immer noch 1,3 Milliarden Menschen multidimensional arm. Für Kinder hat diese Armut oft tödliche Folgen: In den armen Ländern sterben 66 von 1000 Kindern unter fünf Jahren in Folge von fehlendem Zugang zu Ressourcen. Mit dem Klimawandel könnte sich dieser Missstand verschärfen, denn die klimatischen Schäden betreffen die ärmsten Länder massiv. Sie führen zum Verlust an Biodiversität, zur Gefährdung von Ökosystemen, zu Überschwemmungen, zu regelmässigen Dürren, zu Verlust landwirtschaftlicher Erträge und in der Folge zu gravierenden humanitären Katastrophen.

Irreführender Begriff Wirtschaftswachstum

Die Schäden des Klimawandels fliessen nicht in die Berechnung dessen ein, was wir gemeinhin als «Wirtschaftswachstum» bezeichnen. Diese Kennzahl ist irreführend, weil sie auf einer verkürzten und unvollständigen Rechnung basiert. Jegliche Umweltschäden und die Übernutzung der natürlichen Ressourcen werden darin ignoriert, obwohl sie in die Bilanz einfliessen müssten. Aus ethischer Sicht sind sowohl Armut als auch die Folgen des Klimawandels ein Ausdruck von verfehlter Sozial- und Wirtschaftspolitik. Der von den industrialisierten Ländern beanspruchte Zugang zu globalen Ressourcen kann weder generalisiert werden noch ist er nachhaltig; er geht auf Kosten der Länder im globalen Süden. Eine gerechte Ordnung in politischer und ökonomischer Hinsicht würde allerdings schwerwiegende Veränderungen unserer wirtschaftlichen, politischen und sozialen Rahmenbedingungen bedeuten, da unser Fussabdruck die Kapazitäten der Erde um ein Vielfaches übersteigt.

Der Begriff Gerechtigkeit impliziert aus sozialethischer Sicht einen grundsätzlichen Anspruch aller Menschen auf Ressourcen und damit auch auf den Schutz vor Klimaschäden. Gemäss dem amerikanischen Philosophen John Rawls beinhaltet die Vorstellung von Gerechtigkeit, dass alle Werte wie Freiheit, Chancen, Einkommen, Vermögen etc. in einer Gesellschaft gleichmässig zu verteilen sind.

Leider sind wir von einer solchen Vision weit entfernt. Die aktuelle Situation zeigt deutlich, dass wir unseren Wohlstand auf Kosten anderer und gegen die Rechte anderer verteidigen und beanspruchen. Die Lebensbedingungen in reichen Ländern mit unbegrenztem Zugriff auf natürliche und Arbeitsressourcen werden durch die gesellschaftlichen Verhältnisse und Naturverhältnisse anderer ermöglicht. Es wird damit ganz selbstverständlich vorausgesetzt, dass die Menschen in armen Ländern auf ihren Teil verzichten sollen.

Lebensstil konsequent ändern

Mit dem Klimaabkommen von Paris haben sich die unterzeichnenden Staaten 2015 dazu verpflichtet, die globale Erwärmung auf deutlich unter 2 Grad zu begrenzen. Inzwischen wissen wir, dass wir kaum noch eine Chance haben, dieses Ziel zu erreichen und einen stärkeren Anstieg der Temperatur abzuwenden.

Die wichtigste Herausforderung liegt nicht in technologischen Lösungen, und auch nicht in der Vereinbarung von neuen Abkommen und Erklärungen. Die grösste Herausforderung ist die Einhaltung und Durchsetzung bestehender Abkommen, da diese Verpflichtungen konsequente Veränderungen in unseren Gewohnheiten mit sich zögen. Es geht um Nachhaltigkeit, die global gerecht ausgestaltet wird. Alle Menschen haben ein Recht auf die Nutzung des Gemeinschaftsguts Klima. Bevölkerungen von Weltregionen, welche von Armut und Vulnerabilität betroffen sind, müssen sowohl hinsichtlich der Verhinderung von Klimaschäden als auch hinsichtlich Armutsbekämpfung besonders gefördert und unterstützt werden. Wir sollten uns unserer Verantwortung bewusst werden, wir müssen unsere Pflichten radikal erfüllen und die Erlangung der Rechte von anderen Gesellschaften und Bevölkerungen konsequent ermöglichen. Nur so können wir Klimagerechtigkeit erzielen.

Franziska Koller, Leiterin Internationale Zusammenarbeit, Mitglied der Geschäftsleitung der Caritas Schweiz