Die Originalskulpturen von Kaiser Heinrich II. und Kaiserin Kunigunde im Museum Kleines Klingen­tal in Basel. Am Basler Münster stehen Kopien. | © Regula Vogt-Kohler
Die Originalskulpturen von Kaiser Heinrich II. und Kaiserin Kunigunde im Museum Kleines Klingen­tal in Basel. Am Basler Münster stehen Kopien. | © Regula Vogt-Kohler
27.06.2019 – Impuls

Kolosserbrief 3, 12–15

Bekleidet euch also, als Erwählte Gottes, Heilige und Geliebte, mit innigem Erbarmen, Güte, Demut, Milde, Geduld! Ertragt einander und vergebt einander, wenn einer dem anderen etwas vorzuwerfen hat! Wie der Herr euch vergeben hat, so vergebt auch ihr! Vor allem bekleidet euch mit der Liebe, die das Band der Vollkommenheit ist! Und der Friede Christi triumphiere in euren Herzen. Dazu seid ihr berufen als Glieder des einen Leibes. Seid dankbar!

Einheitsübersetzung 2016

 

Wann ist der Mensch gut?

«Man kann doch auch ein guter Mensch sein, wenn man nicht gläubig ist!?» Leicht unsicher und darum fragend, gleichzeitig aber auch provozierend und abwehrend stellt der junge Mann klar, dass er den christlichen Glauben hinter sich gelassen hat. Ich bestätige ihm seine These, frage aber zurück, was er denn unter einem guten Menschen verstehe. Die Frage verwirrt ihn, denn zunächst fällt ihm nur eine negative Antwort ein: «Wenn man nichts Böses tut.» Dann aber merkt er, dass die Frage nach dem Bösen ebenso ungenau ist wie die nach den Guten. Sein neuer Versuch: «Ein guter Mensch ist man, wenn man sich an die Gesetze hält und seinen Mitmenschen gegenüber freundlich und ehrlich ist.»

Ein guter Mensch zu sein, ist offensichtlich nicht so einfach. Wer entscheidet darüber? Was sagt das eigene Herz, das Gewissen? Wir sind aber bekanntermassen Meister im Selbstbetrug. Wie reagiert die Umgebung? Wer nirgends aneckt, muss nicht gut sein, es reicht, wenn er gut angepasst ist. Nicht immer ist Nachgeben gut.

Das Basler Münster steht dank des 1000-Jahre-Jubiläums seiner Weihe in diesem Jahr in besonders festlicher Aufmerksamkeit. Eine Kirche an diesem Ort gabs schon früher, aber das Kaiserpaar Heinrich II. und Kunigunde hat ihr zu besonderer Grösse verholfen und soll, zumindest laut einem späteren Bericht, am Weihetag (11.10.1019) selbst anwesend gewesen sein. Sie sind beide heiliggesprochen worden, weil sie es verstanden haben, kirchliche und weltliche Macht zu vermehren, jeweils die eine im Dienst der anderen. Dabei hat Heinrich ständig militärisch grausame Feldzüge und jahrzehntelange Kriege geführt. Intrige, Hinterlist und Gewaltanwendung gehörten zu seinem Geschäft. War er ein guter Mensch, so gut, dass er später heilig genannt wurde?

Ich stelle mir vor, das Kaiserpaar war zum Gottesdienst im Basler Münster, und der Lektor hat den Abschnitt aus dem Paulusbrief vorgelesen, der für den Namenstag der beiden ausgewählt ist. Dies sind ermahnende Worte, die umschreiben wollen, was ein guter Mensch ist – oder präziser, woran man einen gläubigen Menschen erkennt. Wie sich Kunigunde selbst beurteilt hat, wissen wir nicht. Als ihr Mann 1024 starb und sie keine Kinder hatte, ging sie ins Kloster, wo sie bis 1033 lebte. Heinrich II. hätte sich sicher nach Paulus als erwählt und von Gott geliebt bezeichnet. Aber über Demut, Milde und Geduld hätte er sich vielleicht gewundert. Er hätte vielleicht Bertold Brecht vorweggenommen und gesagt, so wie Paulus sich das vorstellt, so wäre ich gern, aber die Verhältnisse, die sind nicht so.

Uns führt dieser Gedanke zur Frage, an welchen Merkmalen man den guten Menschen erkennen kann. Gelten diese für einen guten Mann ebenso wie für eine gute Frau? Ist eine gute Mutter auch eine gute Geschäftsfrau, ein guter Vater ein guter Politiker, ein guter Banker ein guter Mensch? Oder ist gut sein nur ganz privat möglich?

Von den Spannungen, die auszuhalten sind, wenn man die verschiedenen Rollen des Lebens gut erfüllen will, blieb auch der Kaiser nicht verschont. Gut ist nicht immer gut.

Ludwig Hesse, Theologe, Autor und Teilzeitschreiner, war bis zu seiner Pensionierung Spitalseelsorger im Kanton Baselland