08.11.2018 – Editorial

Erinnerung an 1918

Dieses Jahr fällt der kirchliche Sonntag der Völker bei uns auf ein weltgeschichtliches Datum: Genau ein Jahrhundert ist vergangen, seit am 11. November 1918 der Waffenstillstand zwischen Deutschland und Frankreich den Ersten Weltkrieg beendete. Über vier Jahre und hundert Tage zog sich das militärische Ringen hin, das die europäischen Grossmächte im Juli 1914 ausgelöst hatten. Der Eintritt in den Krieg war auf allen Seiten von Jubel und grosser Siegesgewissheit begleitet, in jedem Land drückte die öffentliche Stimmung die gegnerische Minderheit an den Rand.

Doch bald sollte sich zeigen, dass die Staaten den Krieg zwar beginnen, aber nicht beenden konnten. Die militärische Logik liess die Führungen immer grössere Opfer in Kauf nehmen, die sich anfangs niemand hatte vorstellen können. Noch heute lässt uns ein Besuch auf den unermesslichen Soldatenfriedhöfen wie Verdun vor diesem Schrecken verstummen. Die Monumente mit den Namen der Gefallenen, die in unserem Nachbarland Frankreich in jeder Stadt und jedem Dorf auf dem zentralen Platz stehen, lassen uns erahnen, welches Leid dieser Krieg über die Familien und Gemeinschaften brachte.

Beklemmend wirkt auf uns, dass es in allen kriegführenden Ländern Kirchenführer gab, die dem Krieg ihrer eigenen Armee die religiöse Weihe erteilten. Wie viele ihrer Kirchenmitglieder liessen sie sich von der Euphorie mitreissen und schickten die Soldaten mit ihrem Segen in die Schlacht, statt sich dem Sog der Kriegstreiber entgegenzustellen. Auch später hörten sie nicht auf den «Friedenspapst» Be­nedikt XV. (im Amt 1914 bis 1922), der schon im November 1914, nach drei Monaten der Schlachten, klar sah: «Es wächst ins Ungeheure von Tag zu Tag die Zahl der Witwen und Waisen.» Im Juli 1915 bezeichnete der Papst den Krieg als «grauenhafte Schlächterei». Er blieb ein Rufer in der Wüste, auch unter manchen katholischen, protestantischen und orthodoxen Kirchenleitenden auf allen Seiten der Kriegsfronten.

Der Waffenstillstand vom 11. November 1918 war kein Friede. Es folgten der Aufstieg menschenverachtender Diktaturen und die Katastrophe des Zweiten Weltkriegs. Die Erfahrungen des 20. Jahrhunderts haben das Bewusstsein gestärkt, dass die Aufgabe der Kirchen in der Verteidigung des Lebens und der Schwachen liegt. Diesem Verständnis entspricht das heutige Anliegen der Schweizer Bischöfe zum Sonntag der Völker 2018: Migranten und Flüchtlinge aufnehmen, beschützen, fördern und integrieren.

 

Christian von Arx