14.04.2018 – Editorial

Überirdisch

Der Ball verlässt das Racket, fliegt über das Netz, segelt diesem entlang, um kurz vor der ­Linie noch im Feld zu landen, unerreichbar für den Gegner. Es gibt Applaus und Anerkennung, auch von der anderen Seite. Wie der Match aus­gegangen ist, weiss ich nicht mehr, aber an diesen einen Ball kann ich mich noch gut erinnern. Wie ich diesen Punkt ­gemacht habe? Keine Ahnung, es war einfach ­unglaublich. Nein, das ist es natürlich nicht. Einen (mehr oder weniger) perfekten Ball zu schlagen, fühlt sich zwar tatsächlich unglaublich an, aber wer das ABC des Tennissports kennt, weiss, dass gute Bälle nicht das Produkt glücklicher Fügungen sind. Wenn sich ein solcher Ball unglaublich einfach anfühlt, heisst das nicht, dass er einfach oder unglaublich war, sondern einfach, dass man alles richtig gemacht hat. Wenn ich nicht im richtigen Moment am richtigen Ort in der richtigen Position gestanden wäre und den Schläger im richtigen Winkel hingehalten hätte, wäre es mir nicht ­gelungen, die Filzkugel im Korridor ausserhalb der Reichweite des Duos auf der anderen Seite des Netzes zu platzieren.

Dies alles gilt auch für Roger Federer, den viele für den besten Tennisspieler aller Zeiten halten. Während mein (einziges) Racket im Schrank vor sich hingammelt, liegt eines der vielen des Maestro in einer Vitrine im Historischen Museum in Basel. Natürlich ist es nicht irgendein Schläger, sondern einer, den King ­Roger an einem wichtigen Turnier benutzt hat. Um genau zu sein: Es war das Australian Open 2016. Federer schied im Halbfinal aus, verletzte sich danach am Knie, brach mitten im Jahr die Saison ab – und kam am Australian Open 2017 zurück und … Was danach passierte, scheint geeignet, den Tennisstar endgültig in überirdische Sphären zu erheben.

Bis in die Kirche hat er es schon mal geschafft: Das Historische Museum am Basler Barfüsserplatz befindet sich in einer ehemaligen Klosterkirche. In deren Chor hat das Museumsteam die Ausstellung «Glaubenswelten des Mittelalters» eingerichtet. Auf dem Weg zum Chor kommt man an der Vitrine mit den Objekten aus der Karriere von Roger Federer vorbei. Die Kombination mag nicht Absicht eines durchdachten Konzepts sein, aber sie ist auch nicht einfach so vom Himmel gefallen. In einer Zeit, in der «alternative Glaubenswelten» entstehen (wie es in einer Medienmitteilung zur Präsentation sakraler Kunst aus dem Mittel­alter heisst), passt es, neuzeitliche «Devotionalien» zu zeigen.

Regula Vogt-Kohler