«Ich führe sie an wasserführende Bäche, auf einen ebenen Weg, wo sie nicht straucheln.» | © Joerg Trampert/pixelio.de
«Ich führe sie an wasserführende Bäche, auf einen ebenen Weg, wo sie nicht straucheln.» | © Joerg Trampert/pixelio.de
25.10.2018 – Impuls

Jeremia 31, 7–9

Ja, so spricht der Herr: Jubelt Jakob voll Freude zu und jauchzt über das Haupt der Völker! Verkündet, lobsingt und sagt: Der Herr hat sein Volk gerettet, den Rest Israels.

Seht, ich bringe sie heim aus dem Nordland und sammle sie von den Enden der Erde, da­runter Blinde und Lahme, Schwangere und Wöchnerinnen; als grosse Gemeinde kehren sie hierher zurück.

Weinend kommen sie und tröstend geleite ich sie. Ich führe sie an wasserführende Bäche, auf einen ebenen Weg, wo sie nicht straucheln. Denn ich bin Israels Vater und Efraim ist mein erstgeborener Sohn.

Einheitsübersetzung

 

Trost in dunkler Zeit

Heimkommen. Einmal, am Ende unserer Tage. Heimkommen zu dem, der uns Vater und Mutter ist, dessen geliebte Töchter und Söhne wir sind. Jede und jeder einzelne von uns. Heimkommen mit all dem, was wir in unserem Leben gelebt haben, sei es geglückt und erfüllt, sei es unvollkommen und bruchstückhaft. All das mitbringen und vor ihn hinlegen und darauf vertrauen, dass Gott uns in seine/ihre liebenden Arme aufnimmt.

Das ist das Bild, das mir kommt, in dieser Zeit des beginnenden Novembers, in der wir unserer Toten gedenken und uns vielleicht selber mal mehr, mal weniger bewusst machen, dass unser Leben endlich ist und wir eines Tages heimgebracht werden. Immer, wenn ich auf dem Friedhof stehe und jemanden verabschiede, dann werde ich daran erinnert, dass auch für mich eines Tages Menschen am Grab und in der Kirche stehen und Abschied nehmen von mir.

Doch meist verdrängen wir diesen Gedanken, weil er uns Angst macht. Weil der Tod ein Schritt ist, den wir noch nicht gemacht haben, und der in eine Dimension führt, die wir überhaupt nicht kennen, und von der wir nur in Bildern sprechen können.

Bilder, in denen all unsere Unvollkommenheit aufgehoben ist – unsere Blindheit wird zur Sehfähigkeit, unsere Lähmung zur Beweglichkeit. Bilder, in denen all unsere Schwäche – der Text erwähnt als Beispiele Schwangere und Wöchnerinnen, die besonders grosser Fürsorge und des Schutzes bedürfen – dann nicht mehr zählt, sondern nur, dass wir uns führen und leiten lassen von dem, der nicht möchte, dass wir straucheln und fallen.

Er geht mit. Er leitet uns durch unser Leben mit allen Höhen und Tiefen. Er ist da, wenn wir selber Abschied nehmen müssen von geliebten Menschen und weint mit uns. Er hält es aus, wenn wir verzweifeln und mit ihm hadern. Er ist an unserer Seite, wenn uns Alter, Schwäche, Schmerz und Krankheit in Atem halten. Er nimmt uns an die Hand. Das kann uns helfen, diese schwierigen Seiten unseres Lebensweges auszuhalten.

Das ist mein grosser Halt. Ich möchte vertrauen auf den Gott, der mir mit Barmherzigkeit und Liebe entgegenkommt. Dass ich all das, was mich belastet, und das, was unvollkommen und unbeendet ist, von mir genommen und vollendet wird. Dass alles Straucheln und Stolpern aufgefangen wird. Dass ich mit all dem aufgehoben bin bei dem, der mich unendlich liebt, mich beim Namen gerufen hat und immer wieder neu ruft. Der mir Vater und Mutter ist und mich bei der Hand nimmt und mich zu sich geleitet. Als dessen Tochter ich angenommen bin für immer und ewig.

Vielleicht kann das Vertrauen darauf den nahenden November etwas heller machen. Denn gerade die Monate November und Dezember sind für Trauernde schwerer als andere Zeiten. Der November ist in der Regel dunkler und grauer als die Monate vorher – und der Dezember mit den Feiertagen macht gerade im ersten Jahr die Trauer schwer. Wenn wir uns durch diese Zeit geleiten lassen, uns geführt und begleitet wissen und das Vertrauen haben, dass auch die geliebten Menschen, die wir schon gehen lassen mussten, von Gott, unserem Vater und unserer Mutter, an Wasserbäche und auf ebenem Weg heimgeführt werden, kann uns das Trost und Hoffnung sein. Dann finden wir den Ruheplatz am Wasser. Und dann kann sich die Klage in Jubel verwandeln über Gott, der uns rettet.

Dorothee Becker, Theologin und Seelsorgerin in der Pfarrei Heiliggeist, Basel