v.l. Mitherausgeber Stephan Leimgruber (© Regula Pfeifer) | Doris Strahm, Basel (© Vera Rüttimann) | Helen Schüngel-Straumann, Basel (© Archiv kh) | Othmar Keel, Fribourg (© Vera Rüttimann)
v.l. Mitherausgeber Stephan Leimgruber (© Regula Pfeifer) | Doris Strahm, Basel (© Vera Rüttimann) | Helen Schüngel-Straumann, Basel (© Archiv kh) | Othmar Keel, Fribourg (© Vera Rüttimann)
06.06.2019 – Aktuell

Theologische Aufbrüche und ihre Köpfe in der Schweiz

Ein ökumenisches Lexikon mit 55 Porträts von Theologinnen und Theologen des 20. und 21. Jahrhunderts

Theologie sei für die Gesellschaft wichtiger, als viele denken, findet Stephan Leimgruber. Dies hat den Religionspädagogen dazu bewogen, ein Nachschlagewerk mit Porträts von Schweizer Theologinnen und Theologen im 20. und 21. Jahrhundert herauszugeben.

 

«Theologen haben schon immer eine wichtige Rolle in der Urteilsfindung für ethische Fragen gespielt», sagt Stephan Leimgruber im Gespräch. «Ich will die vielfältige und reichhaltige Theologie in der Schweiz sichtbar machen – und so einen Beitrag zur Schweizer Geistes- und Kulturgeschichte leisten», sagt Leimgruber. Bereits 1990 und 1998 hatte der Schweizer Religionspädagoge je ein Theologenhandbuch herausgegeben. Nach seiner Emeritierung als Professor in München im Jahr 2014 zurück in Luzern, hatte er Musse für ein drittes.

Unter dem Titel «Aufbruch und Widerspruch» sind 55 Theologinnen und Theologen vorgestellt. Ihre Spannweite reicht von den in Basel lebenden feministischen Theologinnen Helen Schüngel-Straumann und Doris Strahm über die Bischöfe Anton Hänggi und Hans Gerny bis zum Journalisten und interkulturellen Theologen Al Imfeld.

 

Drei Konfessionen berücksichtigt

Das Herausgeberteam bilden der katholische Theologe Leimgruber, der reformierte Martin Sallmann und die christkatholische Theologin Angela Berlis. Ihr Buch ist ökumenisch angelegt, es berücksichtigt Theologinnen und Theologen aus den drei genannten Konfessionen. In Kurzbiografien von je etwa zwölf Buchseiten werden sie mit ihren Publikationen und beruflichen Engagements und anhand ihres Lebensweges vorgestellt.

Im Beitrag über Othmar Keel etwa wird – wegen dessen Kindheit in Einsiedeln – über den Einfluss der barocken Klosterkirche auf Keels Sinn fürs Visuelle spekuliert. Auch seine Bildfantasien beim frühen Lesen der Bibel sind erwähnt. So führen seine Studien, die Reisen und das Sammeln von antiken Siegeln, Amuletten und Münzen, für den Leser folgerichtig, zur Gründung des Bibel- und Orient-Museums in Fribourg. «Othmar Keels Verdienst, Bilder als eigenständige Quellen für die Erforschung der Religionsgeschichte Israels und für die Exegese der hebräischen Bibel herangezogen zu haben, ist von Fachkreisen mit Attributen wie ‹bahnbrechend› und ‹revolutionär› betitelt worden», ist das Fazit dieser Theologenbiografie.

 

Für die Würde der Frau

Mit einem Satz aus ihrer eigenen Feder setzt die Kurzbiografie zu Doris Strahm ein: «Ich erfand einen neuen Beruf, den es damals noch nicht gab: freiberufliche feministische Theologin.» Die Suche nach einem gerechten Zusammenleben habe bei Strahm im Gymnasium begonnen, in der Auseinandersetzung mit dem Holocaust, schreibt dann die Biografin. Antwort auf ihre Fragen fand Strahm nicht im regulären Theologiestudium, sondern in Büchern zur feministischen Theologie.

Die Erklärung «Inter insigniores» des Vatikans von 1976, die den Ausschluss der Frauen von der priesterlichen Weihe festhielt, habe bei den damaligen Studentinnen das Bewusstsein für die niedere Stellung der Frau im Christentum geschärft. An der Gründung der feministisch-theologischen Zeitschrift «Fama» war Doris Strahm aktiv beteiligt. Als Theologin habe sie sich «um die feministische Hermeneutik der Christologie verdient gemacht», also darum, die göttliche Menschwerdung nicht mehr als Mannwerdung zu interpretieren. Sie habe theologische Entwürfe nicht-westlicher Frauen einbezogen und Grundlagenarbeit im interreligiösen Dialog geleistet.

 

Anzahl Frauen «beschämend klein»

Doris Strahm, mit Jahrgang 1953 die jüngste im Buch, und Othmar Keel äussern sich auf Nachfrage positiv über ihre Porträts. «Ich freue mich natürlich sehr, dass meine feministisch-theologischen Studien und Beiträge zur Theologie in einem Lexikon von Schweizer Theologinnen und Theologen gewürdigt werden und ich zu den ‹massgeblichen theologischen Persönlichkeiten› gezählt werde», schreibt Doris Strahm an kath.ch. Gleichzei-
tig kritisiert sie, dass die Anzahl der sieben porträtierten Frauen gegenüber 49 Männern «noch immer beschämend klein» sei.

«Es ist für mich ein Vergnügen und eine Ehre, zusammen mit so manchen anderen Theologinnen und Theologen, die ich persönlich kenne oder kannte, in den ‹Himmel› dieser Sterne aufgenommen zu sein», schreibt Othmar Keel. Er sei besonders stolz, dass sein Buch «Die Welt der altorientalischen Bildsymbolik und das Alte Testament – Am Beispiel der Psalmen» (1972) inzwischen auch ins Spanische und Japanische übersetzt worden sei.

Die 55 Kurzbiografien stellen die beschriebenen Theologinnen und Theologen wohlwollend dar. Das habe auch mit den Autorinnen und Autoren zu tun, sagt Mitherausgeber Leimgruber. Einige von ihnen seien Schülerinnen oder Schüler der Porträtierten.

Regula Pfeifer, kath.ch

 

Aufbruch und Widerspruch. Schweizer Theologinnen und Theologen im 20. und 21. Jahrhundert. Herausgegeben von Angela Berlis, Stephan Leimgruber, Martin Sallmann. TVZ Theologischer Verlag Zürich, 2019. 848 Seiten, 78 Franken. Zum Erscheinen dieses Buches findet am 24. Juni, 18.15 Uhr, im Fraumünster Zürich ein ökumenisches Gespräch mit Bischof Hans Gerny, Bischof Felix Gmür und Pfarrer Michel Müller statt.