29.10.2020 – Aktuell

Initiative weckt unerfüllbare Erwartungen

Standpunkt kontra Konzernverantwortungsinitiative

Nadine Gautschi. | © zVg

Keiner will Unternehmen, die auf dem Rücken von Menschen in Entwicklungsländern Gewinne erzielen und gleichzeitig die Umwelt zerstören – genau da trifft die Konzernverantwortungsinitiative (KVI) einen wunden Punkt. Allerdings hat das Volksbegehren bei genauer Betrachtung auch grosse Schwächen.

Rund drei Viertel aller Schweizer Unternehmen sind international vernetzt und unterstützen die Prosperität ihrer Partnerländer wesentlich. Gerade in Entwicklungsländern schaffen sie Arbeitsplätze und etablieren unsere hochklassige Lehrlingsausbildung. Angesichts der neuen Haftungsrisiken der Initiative werden sie gezwungen sein, sich aus Entwicklungsländern zurückzuziehen und sich auch von lokalen Produzenten (Bauern, Gewerbe) zu trennen. Das befreit unter Umständen die lokalen Arbeitskräfte aus ihrem – aus Schweizer Perspektive – ausbeuterischen Verhältnis, lässt sie aber auch ohne Arbeit dastehen.

Ein Rechtssystem lebt davon, verlässlich und beständig zu sein. Die Initiative will unser Rechtssystem auf dem Kopf stellen und eine fragwürdige Beweislastumkehr einführen, wie sie kein anderes Land kennt. Diese Systemänderung führt dazu, dass Schweizer Unternehmen zusätzlich auch verantwortlich sind für das Handeln von rechtlich eigenständigen Lieferanten. Sie haften – auch ohne eigenes Verschulden – für Lieferanten, sofern sie nicht beweisen können, dass sie ihre Lieferanten lückenlos überwachen. Diese Anforderungen lassen die Bürokratie und die Arbeit für Anwälte explodieren.

Im gleichen Zug würde sich die Schweiz zum Weltpolizisten erheben. Die Initiative hebelt internationale Rechtsgrundsätze aus und postuliert selbstherrlich Vorrang für Schweizer Recht und Gerichte. Diese Forderung fusst auf einer rechthaberischen Haltung und missachtet ausländische Gesetze, Gerichte und Behörden souveräner Staaten. Und sie ist in der Sache falsch. Solche Vorgehensweisen sabotieren den Rechtsstaat und alle «Good Governance»-Anstrengungen anderer Länder.

Die Befürworter der Initiative bauen auf illusorischen Vorstellungen und wecken falsche Erwartungen. Die globalen Lieferketten mit Tausenden Zulieferfirmen sind hochkomplex und liegen meist ausserhalb des Einflussbereichs der Auftraggeber. Die lückenlose Überwachung der Lieferkette ist in der Praxis unmöglich. Genauso unerfüllbar sind die Erwartungen an internationale Rechtshilfe und die Beweisaufnahmen im Ausland.

Es ist unbestritten, dass das Grundanliegen der Initiative berechtigt ist, deshalb hat das Parlament als Alternative einen indirekten Gegenvorschlag beschlossen. Dieser Kompromiss kann aber nur in Kraft treten, wenn die Stimmberechtigen Nein zur Initiative sagen.

Der Gegenvorschlag überzeugt auf technisch-juristischer Ebene, ist zukunftsgerichtet und kombiniert die fortschrittlichsten europäischen Regulierungen. Diese Alternative setzt auf international bewährte Instrumente und schliesst eine Schweizer Sonderregulierung aus. Im Grunde schafft der Gegenvorschlag die gewünschte Verbindlichkeit für Unternehmen, ohne eine experimentelle, weltweit beispiellose Haftung mit Beweislastumkehr einzuführen.

Aus den oben genannten Gründen hoffe ich für die Schweiz und besonders für unsere Region auf ein Nein zur KVI.

Zu bemerken bleibt mir, dass ich das übereifrige Engagement unserer Kirche pro KVI als Bedrohung für den innerkirchlichen Frieden empfinde. Kirchen sind keine Parteien, in denen sich Menschen mit ähnlicher politischer Weltanschauung versammeln. Sie sind Institutionen, welche – zumindest heute noch – die ganze Breite der Gesellschaft abbilden, und das soll für unser aller Frieden noch lange so bleiben.

Nadine Gautschi

 

Nadine Gautschi, Basel, Wirtschaftswissenschafterin (lic.rer.pol.), Mitarbeiterin im Bereich Services im Justiz- und Sicherheitsdepartement des Kantons Basel-Stadt, ist Mitglied des Kirchenrates der Römisch-Katholischen Kirche Basel-Stadt und Vizepräsidentin der FDP.Die Liberalen Basel.