21.11.2019 – Editorial

Sonntagslektüre

«Schweizer Frauen haben es gerne bequem»: Während ich den mit dieser provokativen Aussage betitelten Beitrag im Magazin der NZZ am Sonntag lese, steht der Kaffee auf dem Tisch – und im Keller unten läuft die Waschmaschine. Auch sehr gut ausgebildete Frauen leisten sich den Luxus, ihre für teures Geld der Allgemeinheit erworbenen beruflichen Kenntnisse nur teilzeitmässig einzusetzen, selbst dann, wenn keine Kinder sie daran hindern würden, einen Vollzeitjob zu ergreifen. Das steht in einem eklatanten Widerspruch zu den Forderungen nach Gleichberechtigung.  So lautet die These des Textes, den ein Mann (Thomas Sevcik, Inhaber einer Think-Tank-Firma) verfasst hat.

Schwere Kost am Sonntagmorgen, ganz besonders an einem Sonntagmorgen, an dem ich bereits die am Vortag (von der Maschine gewaschene) Wäsche von der Trockenleine genommen und nach Haushaltsmitgliedern respektive -bereich sortiert, gefaltet und zum Einräumen bereit hingelegt habe. Ganz zu schweigen davon, dass ich dann später die Hauptmahlzeit des Tages zubereiten werde – sobald ich die dringenden beruflichen Aufgaben, die an diesem Tag auch noch anstehen, erledigt haben werde.

Ich lese weiter, auch wenn es mir schwerfällt, und gelange so zu einer Passage, die mich wieder etwas versöhnlicher stimmt. «Frauen werden bei der Arbeit diskriminiert, bekommen in der Regel weniger Lohn für gleiche Arbeit», heisst es da. Und: «Sexismus und Gewalt sind in diesem Land (gemeint ist die Schweiz) nach wie vor real.» Wie lässt sich das ändern?

Für Sevcik ist es klar: Es geht nicht ohne Teilhabe an der Macht. Streben nach Gestaltungsmacht sei weder etwas spezifisch «Männliches» noch Ausdruck eines patriarchalischen Systems, sondern gesellschaftliche Realität. Macht und Kooperation würden sich nicht ausschliessen, Macht könne auch gemeinschaftlich ausgeübt werden.

Es gibt keinen Grund, dass dies nicht auch auf die Situation der Frauen in der römisch-katholischen Kirche zutrifft. Und gerade dieses Beispiel zeigt, dass das Gegenteil von Macht nicht harmonische Egalität ist, sondern Ohnmacht. Die Ungleichheit mit schönen Formulierungen zu kaschieren ändert daran nichts. Was hilft es zu sagen, dass jede/r seine/ihre Fähigkeiten entfalten können soll, wenn man diese von vorneherein geschlechtsspezifisch festlegt?

Regula Vogt-Kohler