Auf der Schaukel hinter dem Haus hecken die Kinder manchen Streich aus. Sali ist die zweite von rechts. | © Andrea Krogmann
Auf der Schaukel hinter dem Haus hecken die Kinder manchen Streich aus. Sali ist die zweite von rechts. | © Andrea Krogmann
13.12.2021 – Aktuell

Sali, die kleine Königin

Reportage aus Bethlehem: Die Weihnachtskollekte ist für das Kinderspital in Bethlehem bestimmt

Sali weiss, was sie will. Ihre Familie unterstützt die selbstbewusste 7-Jährige, damit sie trotz der seltenen Krankheit, an der sie leidet, eine möglichst normale Kindheit erleben kann.

«Lila, rosa, grün», lauten Salis Anweisungen an ihre Schwester. Die Mädchen spielen mit Steckbauteilen. Himmelblaue Shirts mit der Aufschrift «I love you», die passenden Shorts, die dunklen Haare mit derselben perlengeschmückten Schleife hochgebunden. Hier an Salis Lieblingsplatz – dem Tisch im Wohnzimmer – gleichen sich die Mädchen aufs Haar. Ihre Beine hat Sali im Schneidersitz unter dem Körper verschränkt, so wie es nur Kinder können. Nichts deutet darauf hin, dass diese Beine sie nicht tragen können.

Sali hat spinale Muskelatrophie (SMA), eine seltene neuromuskuläre Erkrankung, die zu Muskelschwund, Lähmungen und verminderter Muskelspannung führt. Statistisch gesehen ist einer von 10 000 lebendgeborenen Menschen betroffen. Im Kinderspital in Bethlehem ist sie die einzige Patientin mit SMA-Typ 2. Dem Krankheitsbild entsprechend kann Sali frei sitzen, aber nicht laufen.

«Alle sind Dickköpfe»

«Sali ist unsere kleine Königin, sie steht im Mittelpunkt und alle kümmern sich um sie», erzählt Mutter Iman. Will sie sich fortbewegen, ist das Mädchen auf Hilfe oder ihren Rollstuhl angewiesen. Um ins Haus zu kommen, muss die 7-Jährige getragen werden. Die ganze Familie bemüht sich, dass Sali so normal wie möglich aufwächst. Sie geht in die Schule und spielt gerne draussen mit ihren Cousinen und Cousins. «Wenn sie etwas nervt, beschwert sie sich.» Damit komme sie «ganz nach dem Rest der Familie, denn alle hier sind Dickköpfe.»

Keine von Salis jüngeren Schwestern Siwar (6), Sila (4) und Gheena (2) hat von den Eltern das mutierte Gen auf Chromosom 5 geerbt, das für SMA verantwortlich ist. «Gott hat mich so gemacht», sagt Sali selbstbewusst, und mit diesem Satz beendet sie jede Diskussion über ihre Krankheit. Meistens fühlt sie sich «ganz normal, wie alle anderen Kinder», nur manchmal, vertraut sie der Sozialarbeiterin Hiba Sa‘di bei einem ihrer Hausbesuche an, «fehlen mir meine Beine» – beim Spielen mit Freundinnen etwa, oder auf dem Weg zur Schule, in die sie so gerne geht. Die anderthalb Kilometer fahren ihre Eltern sie mit dem Auto – die hügelige Schotterpiste wäre mit dem Rollstuhl nicht zu bewerkstelligen.

Den Platz vor dem Haus hingegen hat Vater Nizar so gestaltet, dass Sali beim Spielen kaum einen Nachteil hat. Schnell und geschickt tobt sie hier vom Rollstuhl aus mit den Cousinen und Cousins, die im Haus gegenüber wohnen. Wagt es jemand, sein Auto auf ihrem Weg zu parken, hat die zierliche Schülerin keine Scheu, ihrem Unmut Luft zu machen.

Drei schwere Lungenentzündungen

Als Sali etwa 10 Monate alt war, wollte sie laufen lernen, aber es ging nicht. Damit begann für die Familie aus dem abgelegenen Ort Dura südwestlich von Hebron eine Odyssee von Arzt zu Arzt. Erst ein Gentest brachte die Diagnose SMA, mit der sich die Familie 2020 an das Kinderspital in Bethlehem wandte. Seither wurde Sali drei Mal stationär im Spital aufgenommen – immer wegen einer Lungenentzündung, was bei SMA häufig vorkommt.

Gegenwärtig wird am Spital geprüft, ob bei Sali neben den Besuchen der Sozialarbeiterin auch eine multidisziplinäre Hausbetreuung möglich und machbar wäre. Dann könnten Ärzte und Physiotherapeutinnen mit der Familie zu Hause in Salis gewohnter Umgebung zusammenarbeiten, erklärt Dr. Nader Handal, Salis behandelnder Kinderarzt im Caritas Baby Hospital, der auf pädiatrische Neurologie spezialisiert ist.

Physiotherapie für die Lunge

Wann immer Sali stationär behandelt werden muss, übernachtet auch Mutter Iman im Spital. Selbst wenn sie sich Sorgen macht, wie die zu Hause gebliebene Familie ohne sie zurechtkommt: Allein lassen will sie ihre Tochter auf keinen Fall. Sie muntert Sali auf, wenn eine Blutentnahme ansteht oder begleitet sie ins Spielzimmer.

Oft holt Iman auch den Rat von Sozialarbeiterin Hiba ein: Wie können die Lebensumstände von Sali verbessert werden? Was tut ihr gut? Einen der wichtigsten Ratschläge hat die Mutter dabei bereits verinnerlicht: die regelmässige Lungenphysiotherapie. Im Kinderspital hat Iman gelernt, wie sie Salis anfällige Lunge am besten stärken kann. Physiotherapie und Atemübungen gehören seither auch zu Hause zum täglichen Mutter-Tochter-Programm.

Andrea Krogmann