Die Beinwiler Stola aus dem 12. Jahrhundert, ein rotes Seidengewebe in Samitbindung mit gestickten silbernen Inschriften auf goldenen Zeilenlinien. Die Gesamtlänge des erhaltenen Bestandes misst 183 cm, die Breite 9 cm. – Fotos: © Abegg-Stiftung, CH-3132 Riggisberg, 2004 (Christoph von Viràg)
Die Beinwiler Stola aus dem 12. Jahrhundert, ein rotes Seidengewebe in Samitbindung mit gestickten silbernen Inschriften auf goldenen Zeilenlinien. Die Gesamtlänge des erhaltenen Bestandes misst 183 cm, die Breite 9 cm. – Fotos: © Abegg-Stiftung, CH-3132 Riggisberg, 2004 (Christoph von Viràg)
14.01.2021 – Aktuell

Seidene Nachricht aus der Urzeit von Beinwil-Mariastein

Auf eine Priesterstola aus dem 12. Jahrhundert sind Namen von Patronen und Stiftern des Klosters gestickt

Eine gegen 900 Jahre alte Stola ist das älteste erhaltene Zeugnis aus dem Kloster Beinwil, das 1648 nach Mariastein verlegt wurde. Jetzt hat der Klosterhistoriker P. Lukas Schenker in den darauf gestickten Texten einen Grafen und seine Frau aus der Gründerfamilie von Saugern identifiziert.

Das Kloster Beinwil im Lüsseltal, der Ursprung des Klosters Mariastein, wurde um 1100 gegründet. Die ersten Mönche kamen aus Hirsau im Schwarzwald, ihr erster Abt hiess Esso. Die ältesten erhaltenen Urkunden zum Kloster Beinwil wurden 1147 von Papst Eugen III. und 1152 von König Friedrich I. (Barbarossa) gesiegelt. Die eigene schriftliche Überlieferung des Klosters aus der Anfangszeit ist fast völlig verloren.

Umso bedeutsamer ist darum die rote, seidene Priesterstola mit ihren Inschriften in ­Silber- und Goldfaden. Sie hat manchen Wechsel von Blüte und Zerfall des Klosters überstanden. In einem soeben erschienenen Beitrag erzählt P. Lukas Schenker, der Klosterhistoriker und frühere Abt (1995–2008) von Mariastein, die abenteuerliche Geschichte der Beinwiler Stola*.

Während 125 Jahren verschollen

Obwohl die Stola im Kloster in Ehren gehalten und mehrmals beschrieben wurde, war sie im ganzen 20. Jahrhundert unauffindbar. Ursache dafür war die Aufhebung des Klosters Mariastein 1874/75. Damals wurde das Klosterarchiv ins Staatsarchiv Solothurn gebracht. Dort war die textile Stola, wie Schenker vermutet, ein «artfremdes Objekt», mit dem die Staatsarchivare wenig anfangen konnten.

«Nun darf man es wirklich als Glücksfall bezeichnen, dass die Stola im Staatsarchiv Solothurn zufälligerweise wieder zum Vorschein kam und im Jahre 2000 als die lang verschollene Beinwiler Stola identifiziert wurde», schreibt P. Lukas Schenker. Sie wurde dem Kloster Mariastein zurückgegeben, anschliessend in der Abegg-Stiftung in Riggisberg fachgerecht konserviert und im Sommer 2004 ausgestellt. Die Textilwissenschaftlerinnen datierten das Stück ins 12. Jahrhundert. Und sie stellten fest, dass ein 110 cm langes Stück auf der linken Seite abgeschnitten wurde. Schenker zeigt auf, dass diese Kürzung wohl schon vor der Mitte des 13. Jahrhunderts erfolgt ist. Die textiltechnologische Beschreibung durch die Abegg-Stiftung ist als Anhang zu Schenkers Artikel veröffentlicht

Als Historiker nimmt P. Lukas Schenker die sieben gestickten Inschriften auf der Stola unter die Lupe. Zum einen sind es zwei Weih­einschriften: Als Kirchenpatrone werden rechts der heilige Vinzenz, links die heilige Maria und alle Heiligen genannt. Das Patrozinium Allerheiligen war das ursprüngliche, wurde aber schon früh vom hl. Vinzenz von Saragossa verdrängt und bereits 1174 ganz weggelassen. Auf der Stola steht nur der 10. August als Weihetag, aber kein Jahr. Lukas Schenker vermutet, dass die Klosterkirche in Beinwil Mitte des 12. Jahrhunderts geweiht wurde.

Inschrift für Graf Ulrichs Frau Chunza: XI K(a)L(endas) FEBR(uarii) OB(iit) CUNIXA. Übersetzung: Am 11. Tag vor den Kalenden des Februars (22. Januar) starb Cunixa.

Die Namen bleiben rätselhaft

Auf der unverkürzten rechten Seite der Stola sind sodann fünf Namen mit ihren Todesdaten aufgestickt: Cunixa (22. Januar), Graf Oudalricus (15. März), Humbertus (19. März), Mahtilt (16. April) und ein weiterer Oudalricus (1. Juni). Dabei muss es sich um zwei Frauen und drei Männer aus den adligen Stifterfamilien des Klosters Beinwil handeln.

Zwei der Genannten kann Schenker identifizieren: Graf Ulrich (Udalricus) von der ersten fassbaren Generation der Grafen von Saugern (Soyhières), der in einer Urkunde von 1101/1102 bezeugt ist, und seine Frau Chunza (auf der Stola Cunixa geschrieben), die 1131 urkundlich erwähnt ist. Nicht auf der Stola genannt wird hingegen Ulrichs und Chunzas Sohn Udelhard II., der 1152 als Kastvogt des Klosters belegt ist. Vermutlich lebte er noch, als die Stola bestickt wurde. Aus diesen Daten schliesst Lukas Schenker, «dass die Einträge auf der Stola aus der Mitte des 12. Jahrhunderts stammen müssen».

Die drei andern Namen Humbert, Mahtilt und Udalrich konnten bisher keinen bekannten Personen aus den Adelsgeschlechtern der Gegend zugeordnet werden.

Inschrift für Graf Ulrich von Saugern: IDVS MAR(tii) OB(iit) OuDALRICU(s) COME(s). Übersetzung: An den Iden des März (15. März) starb Graf Udalricus.

 

Älter als der Esso-Stab

Die rote, seidene Priesterstola ist somit älter als der älteste Abtstab von Beinwil, der sogenannte Esso-Stab. Dieser stammt etwa aus dem Jahr 1200 und kann somit nicht Abt Esso gehört haben. Auch die Stola wurde schon als «Stola des hl. Esso» bezeichnet. Ob die Stola für Esso geschaffen und von ihm getragen wurde, ist aufgrund der Erkenntnisse von Lukas Schenker nicht ausgeschlossen, aber auch nicht nachweisbar. Esso wird seit dem 17. Jahrhundert im Kloster als Seliger verehrt.

Zurzeit kann die Beinwiler Stola nicht besichtigt werden. Wegen des Umbaus der Klosterbibliothek in Mariastein befindet sich das ehrwürdige Zeugnis aus der Gründerzeit des Klosters Beinwil-Mariastein vorübergehend wieder im Depot der Abegg-Stiftung.

Christian von Arx

 

* P. Lukas Schenker: Die Beinwiler Stola. Ein Zeugnis aus dem 12. Jahrhundert. In: Jahrbuch für Solothurnische Geschichte, Band 93, 2020.