Autor Antonio Grasso referierte beim Priesterrat des Bistums Basel, rechts Generalvikar Markus Thürig. | © Christian von Arx
Autor Antonio Grasso referierte beim Priesterrat des Bistums Basel, rechts Generalvikar Markus Thürig. | © Christian von Arx
27.02.2020 – Aktuell

Wählen, zu welcher Pfarrei man gehört

Die Basler Personalpfarrei San Pio X als Modell eines neuen Pfarreiverständnisses

Eine theologische Dissertation von P. Antonio Grasso nimmt die italienische Personalpfarrei San Pio X in Basel als Modell, wie die pastorale Versorgung der heutigen Realität der Migration angepasst werden könnte.

Die Römisch-Katholische Kirche Basel-Stadt kennt eine organisatorische Besonderheit: die italienischsprachige Personalpfarrei San Pio X. Sie geht auf eine frühere Missione Cattolica Italiana (MCI) zurück, ist aber seit Jahrzehnten eine Pfarrei, der alle diejenigen Personen angehören, «welche den Willen bekundet haben, der Personalpfarrei für italienischsprachige Katholiken des Kantons Basel-Stadt anzugehören» (Pfarreiordnung, § 2). Die Mitgliedschaft ist also nicht an den Wohnsitz in einem bestimmten Gebiet gebunden – man kann sie wählen, eine schriftliche Erklärung genügt. Die Mitglieder müssen nicht italienischer Sprache sein, und sie können auch ausserhalb des Kantons Basel-Stadt wohnen. Im letzteren Fall ist allerdings ihr Stimmrecht eingeschränkt.

Ist diese Form der Pfarrei ein generelles Modell für die Zukunft? Diese Frage ist Gegenstand einer neuen Dissertation*, mit der P. Antonio Grasso an der Theologischen Fakultät der Universität Freiburg (Schweiz) die Doktorwürde erlangt hat. Der 47-jährige Scalabrini-Missionar, der in Rom studierte und auch in Los Angeles lebte, hat selber sieben Jahre in der Basler Pfarrei San Pio X gearbeitet und wirkt jetzt seit fünf Jahren als Missionar der MCI in Bern.

Die Expats in der Region Basel vor Augen

Grasso nimmt die heutigen Migrationsflüsse nach Basel als Anlass zur Frage, ob die Kirche mit der klassischen Territorialpfarrei noch den Bedürfnissen der Gläubigen von heute entspricht. Für immer weniger Menschen sei ihre Identität an das Territorium gebunden, auf dem sie leben. Grasso hat die oft von den Basler Pharmariesen angezogenen Expats vor Augen, deren Anteil etwa 10 Prozent der Bevölkerung in der Region ausmache. Viele wechseln ihren Aufenthaltsort häufig, Landes- oder gar Kantons- und Gemeindegrenzen haben für sie keine existenzielle Bedeutung.

Nicht alle Expats brauchen und suchen eine kirchliche Heimat, einige aber durchaus. Natürlich ist es schon heute möglich und üblich, dass sie selber entscheiden, welche Kirche einer Stadt oder Region sie aufsuchen. Antonio Grasso geht es aber nicht darum, sondern um die umfassende Zugehörigkeit zu einer kirchlichen Gemeinde oder Pfarrei, mit allen Rechten und Pflichten: «Sie möchten auch selber entscheiden, welcher Pfarrei sie ihre Kirchensteuer zahlen.» Dem steht heute das staatskirchenrechtliche System entgegen: Mit dem Wohnsitz in einer politischen Gemeinde ist auch festgelegt, welcher Kirchgemeinde man angehört. Eine Wahlfreiheit besteht nicht. Für die Pfarrei San Pio X ist das ein Problem: Sie hat auch Zulauf aus Baselland, Frankreich und Deutschland, erhält von dort aber keine Steuern. In Grassos Vision könnte eine Pastoralpfarrei im Dreiländereck die Staatsgrenzen überschreiten, mit einer entsprechenden Vereinbarung der Bistümer Basel, Freiburg im Breisgau und Strassburg.

Gemeinsame Werte wichtiger als das Gebiet

San Pio X in Basel ist zwar als Gemeinschaft der Italienischsprachigen entstanden, die in dieser Pfarrei eine kirchliche Heimat fanden. Doch Antonio Grasso erweitert das ursprünglich sprachlich bedingte Zusammengehörigkeitsgefühl auf einen vielseitigeren und umfassenderen Sinn. Im Original spricht er von einer «Comunità di linguaggio», wobei sich «linguaggio» – im Unterschied zu «lingua» – nicht auf Herkunft und Sprache bezieht, sondern auf die «Ausdrucksweise»: Gemeint ist eine gemeinsame Sicht der Welt, ähnliche Werte und Überzeugungen. Eine so zusammengesetzte Pfarrei wäre nach Werten homogener als eine heutige Territoralpfarrei. Grasso verspricht sich davon eine neue Form der Gemeinschaft.

Antonio Grasso hat sein Konzept auch schon öffentlich vorgestellt. An der Präsentation vom 8. Februar in der Pfarrei San Pio X waren Vertreter der RKK Basel-Stadt und der italienische Konsul unter den Zuhörern. In der Diskussion am 18. Februar im Priesterrat des Bistums Basel wurde das Konzept als «marktwirtschaftlich» bezeichnet – eine solche Pfarrei könnte oder müsste mit attraktiven Angeboten um Mitglieder werben. Eine Befürchtung lautete, die pastoralen Angebote in strukturschwachen Gegenden könnten so unter Druck geraten. Das traditionelle Konzept der Territorialpfarrei sei auf dem Land noch stärker verankert als in einem städtischen Kontext wie in Basel, lautete eine Ansicht. Für Bischof Felix Gmür ist klar, dass ein solches Konzept die bisherigen Pfarreien nicht ersetzen, sondern allenfalls ergänzen könnte. Generalvikar Markus Thürig hielt fest, dass das Bistum bisher kein entsprechendes Projekt gestartet hat.

Grassos Dissertation liegt bisher erst auf Italienisch vor. Um in der deutschen Schweiz verstanden und breiter diskutiert werden zu können, wäre eine Übersetzung mindestens von Teilen seiner Arbeit wünschenswert.

Christian von Arx

* Antonio Grasso: Comunità di linguaggio alla frontiera. La Parrocchia personale di lingua italiana di Basilea nell’«angolo delle tre terre». Basel, Schwabe Verlag, 2020.