Sexualtherapeutin ­Esther Elisabeth Schütz gibt zu bedenken, dass auch die Kirche die ­Sexualität als mensch­liches Grundbedürfnis nicht einfach durch ­Verbote abstellen kann. | @ Christoph Kaminski
Sexualtherapeutin ­Esther Elisabeth Schütz gibt zu bedenken, dass auch die Kirche die ­Sexualität als mensch­liches Grundbedürfnis nicht einfach durch ­Verbote abstellen kann. | @ Christoph Kaminski
06.09.2018 – Hintergrund

«Positiver Umgang mit Sexualität ist die beste Prävention»

Die Sexualtherapeutin Esther Elisabeth Schütz erwartet von der Kirche, dass sie die Sexualität thematisiert

Sexuelle Übergriffe mit Homosexualität in Verbindung setzen, ist eine «Anmassung»: Das sagt die Sexologin und Sexualtherapeutin Esther Elisabeth Schütz auf Anfrage von kath.ch. Sie fordert die Kirche auf, sich mit Sexualität auseinanderzusetzen. Verbote bei diesem menschlichen Grundbedürfnis seien falsch.

Weihbischof Marian Eleganti hat sich unlängst zu den Übergriffen in den USA geäus­sert und dabei die Taten mit Homosexualität in Zusammenhang gebracht. «90 Prozent stehen in einem direkten Zusammenhang mit einer homosexuellen Veranlagung und Neigung», sagte er. Denn die Opfer seien nicht Kinder, sondern Heranwachsende und Seminaristen im Alter von 16 oder 17 Jahren gewesen. Damit schliesst er auf eine homosexuelle Neigung der Täter.

Die Frage, ob ein solcher Schluss zulässig ist, beantwortet Esther Elisabeth Schütz vom Institut für Sexualpädagogik und Sexualtherapie (ISP) in Uster bewusst nicht: «Eine solche Äusserung ist eine Anmassung im Zusammenhang mit einem Untersuchungsbericht, der von über 1000 Übergriffen an Jungen, Mädchen und Kindern spricht, die von rund 300 katholischen Priestern der katholischen Kirche begangen und von kirchlichen Autoritäten vertuscht wurden», sagt die Klinische Sexologin und Sexualtherapeutin dezidiert. Wenn sie auf die Frage nach einem Zusammenhang von Missbrauch und Homosexualität antworten würde, würde sie indirekt diese Vertuschung unterstützen.

Verbote führen nicht zum Ziel

«Die katholische Kirche hat lange keine Verantwortung dafür übernommen, wie sie mit dem Thema Sexualität in der kirchlichen Institution umgeht. Darum geht es hier.» Die katholische Kirche müsse anerkennen, dass die Sexualität nicht einfach über Verbote abgestellt werden könne und sie endlich thematisieren.

«Sexualität gehört zu den menschlichen Grundbedürfnissen», sagt Schütz. «Dieses sichert das Überleben der Menschheit, daher ist es so stark. Ein positiver Umgang mit diesem Grundbedürfnis ist die beste Prävention!»

Mit Verbot meint Schütz nicht primär den Zölibat, der sexuelle Kontakte mit anderen Menschen verbietet. Im Vordergrund steht für sie das Verbot der Selbstbefriedigung. «Je stärker das Verbot der Selbstbefriedigung ist, desto weniger kann eine positive Beziehung zu einem Teil des eigenen Körpers entstehen.»

Priester, die Kinder und Jugendliche sexuell ausbeuteten, könnten sagen: «Ich mache gar nichts», weil die Wahrnehmung der Empfindungen ihrer eigenen Genitalität blockiert sei, so Schütz. Solange Priester keinen positiven Zugang zu ihrer eigenen Geschlechtlichkeit hätten, käme es umso eher zu verbotenen sexuellen Handlungen wie der sexuellen Ausbeutung.

Für Anerkennung der Selbstbefriedigung

Die Aussage, dass die zölibatäre Lebensform die Gefahr der sexuellen Übergriffigkeit erhöht, würde Schütz nicht unterschreiben. Das Risiko, übergriffig zu werden, sei gross, «wenn Sexualität nicht als Quelle des Menschseins anerkannt wird.» Nur ein kleiner Teil der Menschen könne dieses sexuelle Grundbedürfnis sublimieren, also in andere Bahnen lenken, ist Schütz überzeugt.

«Die Liebe zu sich selbst» meint die Sexologin, «heisst unter anderem, den eigenen Körper in seiner Ganzheit anzunehmen und wertzuschätzen.» Dazu gehörten die Geschlechtsorgane mit ihrer Fähigkeit der sexuellen Erregung ebenso wie die eigenen Gefühle.

Ungeachtet ob jemand zölibatär oder in einer Beziehung lebe, «können Männer und Frauen in der Selbstbefriedigung die sexuelle Erregung mit ihren Emotionen verbinden lernen und sie als positive Kraft menschlichen Daseins autonom leben.» In diesem Sinne sei Selbstbefriedigung gesellschaftlich und von der Kirche als «gleichwertige Form der Sexualität anzuerkennen wie jene zwischen zwei Menschen.»

Sylvia Stam, kath.ch