Eine Begegnung von Kardinal Reinhard Marx und Papst Franziskus im Jahr 2019 (Archivbild). | © Vatican News
Eine Begegnung von Kardinal Reinhard Marx und Papst Franziskus im Jahr 2019 (Archivbild). | © Vatican News
11.06.2021 – Aktuell

Wird der «tote Punkt» zum Wendepunkt für die Kirche?

Papst Franziskus lehnt das Rücktrittsgesuch von Kardinal Marx als Erzbischof von München und Freising ab

Papst Franziskus hat das Rücktrittsgesuch von Kardinal Reinhard Marx als Erzbischof von München und Freising nicht angenommen.

Das ergibt sich aus einem Brief des Papstes an Marx, den der Vatikan am 10. Juni veröffentlichte. «Mach weiter, so wie Du es vorschlägst, aber als Erzbischof von München und Freising», lautet die Antwort des Papstes auf das Gesuch um Amtsverzicht.

Die Missbrauchskrise annehmen

Zentrales Thema im Brief des Papstes ist der Umgang mit der Realität des sexuellen Missbrauchs in der Kirche. Wörtlich schreibt Franziskus dazu: «Ich stimme Dir zu, dass wir es mit einer Katastrophe zu tun haben: der traurigen Geschichte des sexuellen Missbrauchs und der Weise, wie die Kirche damit bis vor Kurzem umgegangen ist. Sich der Heuchelei in der Art, den Glauben zu leben, bewusst zu werden, ist eine Gnade und ein erster Schritt, den wir gehen müssen. Wir müssen für die Geschichte Verantwortung übernehmen, sowohl als einzelner als auch in Gemeinschaft. Angesichts dieses Verbrechens können wir nicht gleichgültig bleiben. Das anzunehmen bedeutet, sich der Krise auszusetzen.» Der Papst dankt Marx für seinen «Mut» und rät der katholischen Kirche, die Missbrauchskrise «anzunehmen».

Marx hatte am 4. Juni einen Brief an Franziskus veröffentlicht, in dem er dem Papst den Verzicht auf sein Amt als Erzbischof von München und Freising anbot. Mit diesem Amtsverzicht gehe es für ihn im Kern darum, «Mitverantwortung zu tragen für die Katastrophe des sexuellen Missbrauchs durch Amtsträger der Kirche in den vergangenen Jahrzehnten». Er selbst empfinde seine «persönliche Schuld und Mitverantwortung auch durch Schweigen, Versäumnisse und zu starke Konzentration auf das Ansehen der Institution», schreibt Marx. «Das Übersehen und Missachten der Opfer ist sicher unsere grösste Schuld in der Vergangenheit gewesen.»

Hintergrund ist der Reform- und Erneuerungsbedarf

Die Kirche in Deutschland sei an einem «toten Punkt», der aber nach seiner Hoffnung auch zu einem Wendepunkt werden könne, schrieb Marx. Für ihn stehe fest, dass es in der Missbrauchskrise neben viel persönlichem Versagen und administrativen Fehlern auch institutionelles oder «systemisches» Versagen gab. Dann sprach Kardinal Marx Klartext: «Die Diskussionen der letzten Zeit haben gezeigt, dass manche in der Kirche gerade dieses Element der Mitverantwortung und damit auch Mitschuld der Institution nicht wahrhaben wollen und deshalb jedem Reform- und Erneuerungsdialog im Zusammenhang mit der Missbrauchskrise ablehnend gegenüberstehen. Ich sehe das dezidiert anders.» Ein Wendepunkt aus der Krise könne nur ein «synodaler Weg» sein.

Ermutigung für den synodalen Weg

In der katholischen Kirche in Deutschland ist ein solcher synodaler Weg gestartet worden, droht aber an den unvereinbaren Positionen über den Reform- und Erneuerungsbedarf zu scheitern. Wenn Papst Franziskus jetzt das Rücktrittsangebot von Kardinal Marx öffentlich macht, den Amtsverzicht aber zurückweist und Marx beauftragt, weiter in dem von diesem dargelegten Sinn als Erzbischof von München und Freising zu wirken, dann stärkt der Papst Marx und dessen Positionen im Ringen um den synodalen Weg der Kirche in Deutschland den Rücken.

Bei seinem Entscheid knüpfte Franziskus am letzten Abschnitt des Rücktrittsangebots an, wo Kardinal Marx schreibt, er sei «weiterhin gerne Priester und Bischof dieser Kirche», und: «Die nächsten Jahre meines Dienstes würde ich gerne verstärkt der Seelsorge widmen und mich einsetzen für eine geistliche Erneuerung der Kirche, wie Sie es ja auch unermüdlich anmahnen.»

Vatican News/Christian von Arx