Der Bericht stellt in 38 Ländern systematische Verletzungen der Religionsfreiheit fest: In 21 Ländern (rot) gibt es Verfolgungen, in weiteren 17 Ländern (orange) Diskriminierungen von religiösen Gruppen. Ein Pfeil nach oben zeigt eine Verbesserung, ein Pfeil nach unten eine Verschlechterung der Lage an. | © Kirche in Not Schweiz
Der Bericht stellt in 38 Ländern systematische Verletzungen der Religionsfreiheit fest: In 21 Ländern (rot) gibt es Verfolgungen, in weiteren 17 Ländern (orange) Diskriminierungen von religiösen Gruppen. Ein Pfeil nach oben zeigt eine Verbesserung, ein Pfeil nach unten eine Verschlechterung der Lage an. | © Kirche in Not Schweiz
10.12.2018 – Aktuell

«Ohne Menschenrechte leiden alle Religionsgruppen»

Kirche in Not stellt in grossen Teilen der Welt Verletzungen der Religionsfreiheit fest

Gut 60 Prozent aller Menschen leben in Ländern, die Religionsfreiheit nicht respektieren. Das geht aus dem Bericht «Religionsfreiheit weltweit» hervor, den das Hilfswerk Kirche in Not für die Jahre 2016 bis 2018 erarbeitet hat.

 

Ende November hat das internationale katholische Hilfswerk Kirche in Not seinen jüngsten Bericht «Religionsfreiheit weltweit» in sieben Sprachen vorgestellt. Der zweijährlich vorgelegte Bericht umfasst den Zeitraum von Juni 2016 bis Juni 2018. Im Interview erläutert Roberto Simona, Islamexperte bei Kirche in Not Schweiz, die Ursachen für die insgesamt negative Entwicklung.

Der Bericht stellt insgesamt eine Verschlechterung der Religionsfreiheit weltweit fest. Was für Ursachen gibt es hierfür?
Roberto Simona: Mehr als vier Milliarden Menschen leben in einer Situation, in der die Religions- und Gewissensfreiheit nicht gewährleistet ist, sie werden also diskriminiert oder verfolgt. Ursachen sind einerseits Krieg, wie beispielweise in Jemen. Dann gibt es Länder, in denen Diktaturen herrschen, andere leiden unter grosser Armut, oder fundamentalistische Gruppen halten die Bevölkerung unter Kontrolle.

Man hört oft, in christlich geprägten Ländern sei die Religionsfreiheit besser gewährleistet als in muslimisch geprägten Ländern. Bestätigt der Bericht solche Aussagen?
Mit solchen Etikettierungen muss man aufpassen. Was bedeutet heutzutage «christlich geprägte Länder»? Auch in Europa und Amerika verlieren wichtige Werte wie Gerechtigkeit immer mehr an Bedeutung. Solche Entwicklungen könnten in Zukunft auch die Religionsfreiheit betreffen.

Sind Christen insgesamt mehr von Verfolgung und Diskriminierung betroffen als Angehörige anderer Religionen?
Wenn Christen in einem Land in der Minderheit sind, werden sie tatsächlich oft diskriminiert und verfolgt. Man muss aber vorsichtig sein mit Pauschalisierungen. Im Irak gab es vor 2002 mehr als 1,7 Millionen Christen, heute sind es noch etwa 150 000. Diese Religionsgruppe wurde also wirklich verfolgt. Die Mehrheit der Iraker sind allerdings Muslime, und auch sie wurden angegriffen. Solche Vergleiche sind daher gefährlich. Wo Menschenrechte nicht respektiert werden, leiden alle Religionsgruppen.

Der Bericht zeigt für Syrien und Irak eine positive Entwicklung.
Positiv insofern, als der Genozid im Irak gestoppt ist. Ursache dafür ist der Rückzug des «Islamischen Staats». Dennoch ist die Situation nach wie vor dramatisch. Die Menschen kehren in zerstörte Dörfer zurück. Sie haben immer noch Angst, dass Einzelne oder Familien angegriffen werden.

Welche Entwicklung zeigt der Bericht für Europa?
Europa ist durch die Migrationsbewegungen stark herausgefordert. Nehmen wir Italien: Die heutige Regierung sagt, diese Menschen gehörten nicht zur italienischen Kultur. Es wäre eine Chance, alles Ermessliche zu tun, damit diese Menschen jene Werte schätzen und verstehen lernen, die Europa zu einem wichtigen und weltweit beachteten Kontinent gemacht haben. Es war ein langer Prozess, der in den Ländern Europas zu der Freiheit geführt hat, wie wir sie heute kennen. Um solche Werte weitergeben zu können, ist es wichtig, jeden Menschen, dem wir begegnen, zu respektieren.

Der Bericht stellt eine Zunahme von Islamophobie für Europa fest. Gilt das auch für die Schweiz?
Nein, das würde ich nicht sagen. Es gab Episoden, die gewisse Leute irritiert haben und die zum Nachdenken darüber angeregt haben, dass es in der Bevölkerung Veränderungen gibt. Beispielsweise als zwei muslimische Schüler einer Lehrerin den Handschlag verweigerten. Aber ich würde nicht sagen, dass die Islamophobie insgesamt zugenommen hat. Es gibt in der Schweiz verschiedene Gruppierungen, kirchliche und muslimische, die darauf hinarbeiten, dass eine solche Entwicklung in der Schweiz nicht geschieht.

Interview: Sylvia Stam, kath.ch