Einer, der das Geschäft mit der Macht genial beherrschte: Kaiser Karl der Grosse (lebensgrosse Stuckfigur in der Klosterkirche St. Johann in Müstair). | © Ralph Feiner / © Stiftung Pro Kloster St. Johann in Müstair
Einer, der das Geschäft mit der Macht genial beherrschte: Kaiser Karl der Grosse (lebensgrosse Stuckfigur in der Klosterkirche St. Johann in Müstair). | © Ralph Feiner / © Stiftung Pro Kloster St. Johann in Müstair
24.01.2019 – Impuls

Lukas 19,12–17

Ein Mann aus fürstlichem Haus wollte in ein fernes Land reisen, um die Königswürde zu empfangen und dann zurückzukehren.
Er rief zehn seiner Diener zu sich, verteilte unter sie zehn Goldstücke und sagte: «Macht Geschäfte damit, bis ich wiederkomme» … Nach seiner Rückkehr liess er die Diener zu sich rufen. Er wollte sehen, welchen Gewinn jeder bei seinen Geschäften erzielt hatte. Der erste kam und sagte: «Herr, dein Geld hat sich verzehnfacht.» Da sagte der König zu ihm: «Sehr schön, du bist ein tüchtiger Diener.»

Übersetzung aus «Die Eigenfeiern der Schweizer Benediktiner», 1977

 

Macht Geschäfte!

Wenn wir jemand als «Gschäftlimacher» bezeichnen, verstehen wir das nicht als Kompliment, sondern als Kritik, verbinden damit Rücksichtslosigkeit, Schmarotzertum, Profitgier, Ausbeutung der Schwächen anderer, dies alles hart an der Grenze der Legalität. Ob gelegentlich auch ein wenig Neid und Eifersucht mitschwingen? Vielleicht gar eine Spur Bewunderung? Es fällt auf, dass Jesus sich nicht scheute, solche zwielichtige Erfolgsgeschichten heranzuziehen, um seine Botschaft vom Gottesreich unter die Menschen zu bringen.

War Karl der Grosse ein solcher Geschäftemacher? Jedenfalls hat er sein Geschäft – den erfolgreichen Umgang mit militärischer, politischer, kultureller und religiöser Macht – souverän, genial und recht erfolgreich betrieben. In seine von religiösem Sendungsbewusstsein und gewalttätiger Herrscherallüre geprägte Expansionspolitik band er zielstrebig und grosszügig die Kirche mit ein. Klöster wurden zu Stützpunkten eines umfassenden Kultur- und Bildungsprogramms, das nach dem Niedergang des römischen Imperiums als «karolingische Renaissance» viel zum Aufbau einer europäischen Identität beitrug, von der wir bis heute zehren. Der Blutzoll, den andere dafür bezahlen mussten, war freilich hoch. Erinnert sei an die zwangsweise, mit eiserner Faust durchgesetzte Bekehrung und Taufe der Sachsen am Nordrand des Reiches. Da kannte Karl kein Pardon.

Für uns ist es schwer nachvollziehbar, wie sich ein solcher Machtmensch, eine derart schillernde Figur in den Heiligenkalender einschleichen konnte. Daran zeigt sich, wie sehr sich im Laufe der Jahrhunderte die Mentalitäten ändern, sich festgefügte moralische Ansichten aufweichen und auflösen und zum Guten oder zum Bösen sich in ihr Gegenteil verkehren können.

Für die christlichen Potentaten des Mittelalters waren die alttestamentlichen Könige David und Salomo die glanzvollen Leitsterne, denen sie nacheiferten. Wie die Könige Israels wussten sie sich von Gott erwählt und gesalbt, beauftragt, das Volk in den Krieg zu führen, den Untertanen mit Weisheit Recht zu sprechen, in feierlichen Gottesdiensten die versammelte Gemeinde zu segnen, mildtätig gegenüber Armen und Kranken zu sein, selbstbewusst Gegenwart und Zukunft mitzugestalten. Königlich im Sieg und in der Niederlage, tüchtig im Dreinschlagen und im Einstecken, grossartig in ihren Tugenden und bedenkenlos im Sündigen. Also nichts von «finsterem Mittelalter»!

Wie wärs, wenn sich Europas Eliten von solchen Vorbildern inspirieren liessen, im Bewusstsein, dass sie zu Wohl und Wehe Taktgeber für viele sind, auch für unsereiner? Der Heiligenschein will nicht so recht aufs kaiserliche Haupt passen. Trotzdem ist Karl zum Archetypen einer gottgefälligen Weltlichkeit geworden, zum sehr irdischen Spiegelbild des himmlischen Pantokrators (s. «Was ist …», S. 2). Er setzte den Auftrag des Herrn – «Macht Geschäfte!» – auf seine Weise in die Tat um. Deshalb ist er als «der Grosse» ins kollektive Gedächtnis der Völkerfamilie eingegangen.

Geschäftemachen kann also durchaus im Sinne Gottes sein. Und wir? Statt die Gelegenheit beim Schopf zu packen und den grossen Wurf zu wagen und etwas zu riskieren, begnügen wir uns zu oft damit, endlos und brav die Erbsen zu zählen.

Peter von Sury, Abt des Benediktinerklosters Mariastein