Seite aus dem «Codex Argenteus» der im 6. Jahrhundert entstandenen Silberbibel (Mk 3,27–32). (Foto: wikimedia)
Seite aus dem «Codex Argenteus» der im 6. Jahrhundert entstandenen Silberbibel (Mk 3,27–32). (Foto: wikimedia)
21.07.2018 – Hintergrund

Eine weitgereiste Bibel

Kunstraub im Dreissigjährigen Krieg: Die Schweden plündern Prag

Die schwedischen Truppen, die in der Endphase des Dreissigjährigen Kriegs 1648 in Prag Kunstschätze erbeuteten, handelten in königlichem Auftrag. Zu den für Königin Christina geraubten Kostbarkeiten gehörten auch die Fragmente einer Abschrift der gotischen Bibelübersetzung von Bischof Wulfila.

Als das unter dem Namen «Silberbibel» bekannte Manuskript 1648 als Kriegsbeute in schwedische Hände kam, hatte es bereits ­einen längeren Weg hinter sich. Entstanden ist die Abschrift der gotischen Übersetzung der vier Evangelien vermutlich im frühen 6. Jahrhundert in Ravenna zur Zeit des ostgotischen Königs Theoderich des Grossen. Die Schreibwerkstatt verwendete für das Manuskript purpurrot eingefärbtes Pergament und goldene und silberne Schriftfarben. Der Name «Silbercodex» bezieht sich nicht auf den erst im 17. Jahrhundert hinzugefügten Silbereinband, sondern auf die Schriftfarbe.

Luxusausgabe für den König?

Die Qualität der Tinte und der hochstehende künstlerische Stil der Ausführung deuten an, dass das Manuskript für eine hochrangige Person im ostgotischen Königreich angefertigt wurde. Dies meint Tönnes Kleberg in «Codex Argenteus: The Silver Bible at Uppsala» (Uppsala University Library). Die Purpurfarbe führt ihn zur Annahme, dass das Manuskript möglicherweise für König Theoderich selbst bestimmt war. Theoderich, der sich König der Goten und der Römer nannte, verwendete das dem Kaiser vorbehaltene Purpur mit Erlaubnis des oströmischen Kaisers.

Nach Theoderichs Tod war es mit der Herrschaft der in Ravenna, Verona und weiteren Städten residierenden Ostgoten bald vorbei. Vermutlich gehörte der «Codex Argenteus» zu den Schätzen, die vor den byzantinischen Truppen in Sicherheit gebracht wurden. Möglicherweise landete das kostbare Manuskript im Kloster Monte Cassino. Mitte des 16. Jahrhunderts tauchte es im Benediktinerkloster Werden im heutigen Ruhrgebiet auf. Details über seinen Verbleib in den rund tausend Jahren zwischen Ravenna und Werden sind nicht bekannt. Eine mögliche Erklärung besagt, dass der heilige Ludger, der das Kloster Werden Ende des 8. Jahrhunderts gründete, das Buch aus Monte Cassino mitgebracht hat. Gemäss einer anderen These lag das Manuskript vom frühen 9. Jahrhundert bis 1547 in der Abtei St. Ludgeri in Helmstedt. Als dort im Konfessionskonflikt während Jahren bürgerkriegsähnliche Zustände herrschten, wurde die Silberbibel aus Sicherheitsgründen erneut gezügelt – ins Kloster Werden.

Werden ist die erste mit Sicherheit bekannte Station der Abschrift. Spätestens 1600 kam das Manuskript in den Besitz von Kaiser Rudolf II. aus dem Hause Habsburg. Der in Prag residierende Rudolf war ein fanatischer Sammler von Kunstwerken und Büchern. Er starb 1612, sechs Jahre bevor mit dem Prager Fenstersturz der Dreissigjährige Krieg begann.

Damals kein Verbrechen

Als Königin Christina Anfang August 1648 von der Eroberung Prags erfuhr, gab sie General Königsmarck den Auftrag, ihr die Bibliothek und die Raritäten, die sich in Prag befinden, zu schicken. Kunstraub galt damals nicht als Kriegsverbrechen. Hugo Grotius, einer der Gründerväter des Völkerrechts und schwedischer Botschafter in Frankreich (1634–1645), vertrat die Auffassung, dass das göttliche Gesetz den Eroberern das Recht gab, Kriegsbeute zu nehmen, wenn die belagerte Stadt nicht das Angebot der Kapitulation annahm. Die Schweden leisteten ganze Arbeit und räumten den Hradschin, die Prager Burg, aber auch Palais und Klöster leer. Im Frühling 1649 erreichten die Kunstschätze Stockholm.

Damit war die Reise des Manuskripts noch nicht zu Ende. Als Königin Christina 1654 zum Katholizismus konvertierte, übergab sie die Handschrift ihrem Bibliothekar Isaac Vossius, nicht als Geschenk, sondern um Schulden zu begleichen. Vossius nahm den Codex in seine Heimat Holland mit. Dort kaufte
ihn 1662 Graf Magnus Gabriel De la Gardie, schwedischer Reichskanzler und Kanzler der Universität Uppsala. 1669 schenkte De la Gardie den mit einem prächtigen silbernen Einband versehenen Codex der Universität Uppsala.

Regula Vogt-Kohler

1618–1648 (Teil 2)
Unterschiedliche Aspekte der komplexen Geschichte des Dreissigjährigen Kriegs sind das Thema einer losen Serie von Beiträgen. Bereits erschienen ist: Der Sturz in die europäische ­Katastrophe (23/2018).


Uppsala: Silberbibel und ein mächtiger Dom

Die Silberbibel ist zurzeit nicht zu besichtigen: Wegen Umbauarbeiten ist die Ausstellung in der Carolina Rediviva, dem Hauptgebäude der Universitätsbibliothek (UB) von Uppsala, bis Mitte 2019 geschlossen. Via Homepage der UB ist sie jedoch digital zugänglich (alvin-portal.org; Suchbegriff Silver Bible). Ein Besuch von Uppsala lohnt sich nicht nur der kostbaren Silberbibel wegen. Zu den Sehenswürdigkeiten der rund 70 Kilometer nördlich von Stockholm gelegenen Stadt gehören der mächtige Dom St. Erik, die grösste Kirche Skandinaviens, und der von Carl von Linné, dem Schöpfer der modernen Namensgebung für Pflanzen und Tiere, gestaltete botanische Garten. Von Stockholm aus lässt sich Uppsala bequem mit dem Zug erreichen. rv