13.09.2018 – Editorial

Kirche und Staat

Danken für all das, was uns in der Schweiz ohne eigenes Verdienst zugutekommt. Uns selbst vor Augen halten, wo wir als Gemeinschaft falsch handeln oder nicht tun, was wir tun könnten. Und das ­Gespräch suchen mit Gott. Das ist, wozu der Eidgenössische Dank-, Buss- und Bettag uns einlädt.

Der Bettag, als staatlicher Feiertag mit einem religiösen Horizont, kann auch ein Anlass sein, über das Verhältnis von Kirche und Staat nachzudenken. Alle, die unseren Staat mitgestalten, müssen wissen, dass sie dabei stets auf den Einstellungen und Werten der Bürgerinnen und Bürger aufbauen. Sie sind unser moralisches Grundkapital. Nicht die Kirchen allein prägen diese Werte. Aber der Beitrag der Religionen ist für das gute Funktionieren des Staates wesentlich.

Gegenüber der Politik muss die Kirche sich die Freiheit nehmen, gemäss ihrem Glauben zu handeln und zu reden; auch dann, wenn es ­unpopulär sein könnte. Sie kann nicht die ­Zustimmung der Mehrheit zu ihrer obersten Richtschnur machen. Heute könnte das etwa den Umgang mit Flüchtlingen betreffen, die Lieferung von Waffen in Bürgerkriegsländer oder die Solidarität mit Menschen, die es weniger gut haben. Wenn die Kirche zu solchen Fragen nichts sagt, nimmt sie ihre Aufgabe nicht wahr.

Umgekehrt hat sich in der Politik die Überzeugung Bahn gebrochen, dass Frauen und Männer gleichgestellt sein sollen, dass niemand rechtlich benachteiligt werden soll. Eine Überzeugung, die von den meisten Katholikinnen und Katholiken unseres Landes geteilt wird. Doch in der katholischen Kirche bieten die alten Strukturen dieser Überzeugung noch zähen Widerstand. Hier ist es die Kirche, die für den Ruf aus der Politik nach rechtlicher Gleichstellung auch in kirchlichen Dingen dankbar sein darf.

Ganz verkehrt wäre es, jetzt auch noch Männer mit einer homosexuellen Veranlagung vom Priesteramt auszuschliessen. Das wäre eine oberflächliche Folgerung aus den Fällen von sexuellen Übergriffen in der Kirche. Die Wirklichkeit erfordert sorgfältigeres Nachdenken. Wirksamer ist es etwa, wenn der Dienst in der Kirche ein Umfeld bietet, wo Männer und Frauen in gemischten Teams tätig sind. Wo die Vertuschung von Missbrauch nicht geduldet wird, und wo die Sexualität als Teil der menschlichen Natur anerkannt wird.

Staat und Gesellschaft werden gestärkt, wenn die Kirche mit einer glaubwürdigen Stimme ihren Glauben vertritt. Das kann sie nicht, wenn sie an alten Diskriminierungen festhält und neue schafft.

Christian von Arx