Die Heidazunft hat ihre Parzellen mit Namen angeschrieben. Im Bild die unterste Reihe Rebstöcke im Himmilrich. | © Christian von Arx
Die Heidazunft hat ihre Parzellen mit Namen angeschrieben. Im Bild die unterste Reihe Rebstöcke im Himmilrich. | © Christian von Arx
12.08.2021 – Aktuell

Juden, Heiden, Katholiken – vereint im Himmilrich

Serie paradiesische Orte:
Zuoberst im höchsten Weinberg Europas in Visperterminen

Nicht mancher kann von sich sagen, er habe mit eigenen Augen das Himmelreich gesehen. Dabei ist es von Basel aus mit Zug, Bus und einem Fussmarsch in knapp drei Stunden zu erreichen.

Pfiffolträ, Schtrafflä und Lattüechjini wird man zurzeit im Himmilrich antreffen, auf gut Deutsch: Schmetterlinge, Heuschrecken und Eidechsen. Und wie es sich an diesem heiligen Ort gehört, vielleicht auch eine Gottesanbeterin, die hier Wiigrill heisst.

Die Mundartwörter verraten es: Wir sind im Wallis. Vom Bahnhof Visp aus bringt uns das Postauto mitten in den Weinberg von Visperterminen oder Tärbinu, wie die Einheimischen ihr Dorf nennen. Von der Haltestelle Bächji aus kann man den grandiosen Rebberg bequem durch die Kehren der Strasse erwandern, die den Bewirtschaftern dient.

Ein anderer Zugang führt vom Weiler Oberstalden aus auf einem Fussweg durch schattigen Wald, dann durch einen Hang mit vielfältiger, duftender Vegetation. Unterwegs erfährt man viel auf den Schrifttafeln des Reblehrpfads. Und plötzlich, nach einer Felskante, liegt er einem ausgestreckt vor Augen, der höchste Weinberg Europas. Vom Ufer der Vispa auf 660 Metern zieht er sich bis hinauf an den Waldrand auf 1100 Metern über Meer.

Das Geheimnis des Rebbergs

Im Mittelland oder im Jura gedeihen Reben in der Regel bis auf 500 oder 600 Meter über Meer. Warum ist das in Visperterminen so viel höher hinauf möglich? Eine Ahnung vom Geheimnis bekommt, wer sich im Rebberg bewegt. Die Sonne sticht, selbst bei bewölktem Himmel durchdringt einen die Wärme. Mehrere Faktoren sind den Trauben günstig: Die Steilheit des Hangs und seine Exposition nach Süden; der steinige Untergrund, der die Hitze speichert bis weit in die Nacht; der Föhn, der über die Alpenkette bläst; und der Schutz vor kalten Winden.

Seit alters pflanzen die Tärbiner vor allem in den obersten Lagen ihre einheimische Sorte Heida, die verwandt ist mit dem Savagnin oder Traminer. Der Heida wird meist erst im Oktober gelesen. Die Herbstsonne lässt einen unverwechselbaren Weisswein von kräftigem Gelb reifen.

Eine Rebe aus heidnischer Zeit

Der Name Heida, auf Französisch übersetzt païen, ist unser deutsches Wort Heide (Ungläubiger). So wird der Wein schon in einer Urkunde von 1586 genannt. Der Name drückt wohl aus, dass die ins Wallis eingewanderten Alemannen, die Walser, die Herkunft dieser Rebe in der vorchristlichen Zeit vermuteten: Bei den Kelten und Römern, die schon vor der Christianisierung im Wallis Weinbau betrieben. Heute ist der Heidenwein der Stolz der gut katholischen Bewohner von Visperterminen, die im Oberwallis scherzhaft auch «d Judu» (Juden) genannt werden.

Als Krönung der Wiederbelebung des höchsten Weinbergs bepflanzte die Heidazunft (siehe rechts oben) im Jahr 2008 ihre höchstgelegene Parzelle mit 193 Rebstöcken. Diese Parzelle taufte sie «Himmilrich». So kommt es, dass heute «Juden» und Katholiken Heidenwein aus dem Himmelreich trinken können.

Christian von Arx

Vom Himmilrich aus bietet sich ein tolles Panorama mit den Viertausendern Dom, Matterhorn, Weisshorn.  | © Christian von Arx
Nach der Arbeit im steilen, heissen Weinberg gilt es, hier am Schatten Leib und Seele zu stärken. | © Christian von Arx
Blick aufs Himmilrich, die oberste Parzelle im höchsten Weinberg Europas, auf 1100 m ü.M. | © Christian von Arx
Der Blick hinunter zum Bächji (in der Kurve der Strasse) lässt die Steilheit des ganzen Rebbergs erahnen. Links oben das Dorf Visperterminen (verdeckt von der Tafel).  | © Christian von Arx
Die Lattüechjini (Eidechsen) sind im Himmilrich zu Hause. | © Christian von Arx
Sich ein Glasji Heida einschenken und geniessen: So ist das im Himmilrich. | © Christian von Arx
Das typische Blatt der Heidarebe. | © Christian von Arx
Wenige Schritte vom Himmilrich befindet sich das Räbhiischi (Rebhaus) der Heidazunft. | © Christian von Arx
Der höchste Weinberg Europas in Visperterminen. Der höchstgelegene Bereich wird von der Heidazunft bewirtschaftet, bis hinauf ins «Himmilrich» auf 1100 m ü.M. | © Christian von Arx