«Meinen Pfad hat er versperrt», klagt Ijob. Wegen der Corona-Pandemie sind zurzeit viele Grenzübergänge gesperrt, wie dieser Waldweg nach Deutschland (Aufnahme vom 14. April 2020). | © Markus Forte/Ex-Press
«Meinen Pfad hat er versperrt», klagt Ijob. Wegen der Corona-Pandemie sind zurzeit viele Grenzübergänge gesperrt, wie dieser Waldweg nach Deutschland (Aufnahme vom 14. April 2020). | © Markus Forte/Ex-Press
30.04.2020 – Impuls

Ijob 19,25–27

Doch ich, ich weiss: Mein Erlöser lebt, als Letzter erhebt er sich über dem Staub. Ohne meine Haut, die so zerfetzte, und ohne mein Fleisch werde ich Gott schauen. Ihn selber werde ich dann für mich schauen; meine ­Augen werden ihn sehen, nicht mehr fremd.

Einheitsübersetzung 2016

 

Ich weiss, mein Erlöser lebt!

Von Georg Friedrich Händel, dem Komponisten des Oratoriums «Messias», ist überliefert, dass er sich in einer Probe bei der Arie «Ich weiss, dass mein Erlöser lebet» an die Sopranistin wandte und sagte: «Sie singen schön, aber Sie wissen nicht, dass Ihr Erlöser lebt.»

Kann man das wirklich hören, obs einer weiss oder nicht? Kann man das spüren? Auch bei mir? Ja, weiss ich, dass mein Erlöser lebt?

«Ich weiss, mein Erlöser lebt …» – mitten im Buch Ijob steht dieser wunderbare Bibelvers – mitten in diesem dunklen und schweren und in manchen Passagen beinahe unerträglichen Buch. Die Geschichte erzählt, wie Gott dem Satan gestattet, den frommen Ijob auf die Probe zu stellen. Wird dieser wohl auch dann noch an seinem Glauben festhalten, wenn alles schiefgeht in seinem Leben – wenn ihm Menschen, Mittel, Wohlstand und Gesundheit genommen werden? Wir wissen heute: Am Ende wird alles gut. Doch in dem Moment, in dem Ijob diesen Satz einem seiner ratlosen Berater entgegenhält, weiss er noch nicht, wie alles ausgehen wird. Er wird ertragen müssen, dass ihn dieser Erlöser noch ziemlich lange gänzlich unerlöst in seinem Elend schmoren lässt.

«Ich weiss, mein Erlöser lebt» – dieses Bekenntnis Ijobs ist Teil einer ganzen Rede. Der gesamte Rest dieser Rede besteht allerdings nur aus Jammer, Klage und Anklage gegen Gott. Da ruft der leidgeprüfte Ijob: «Gott drückt mich nieder!» – «Meinen Pfad hat er versperrt!» – «Meiner Ehre hat er mich entkleidet!» – «Gott hat mich zerbrochen!» – «Gott hat meine Hoffnung wie einen Baum ausgerissen!» Ist das nicht Gotteslästerung? Nein, Ijob hält an Gott fest und wendet sich an ihn. Er versteht dessen Wege nicht und kann seine Nähe nicht mehr spüren. Wo wir mit Gott hadern, da lassen wir ihn nicht los. Und mitten in diesem Ringen mit Gott und mit dem Unrecht dieser Welt entsteht Ijobs wunderschönes Bekenntnis: «Ich weiss, mein Erlöser lebt.»

Ijobs Frage nach dem Warum bekommt letztlich keine Antwort. Aber Ijob wagt in all seinem Leid an Gott festzuhalten.

Woher hat Ijob diese Gewissheit? Woher kommt diese Zuversicht?

Vielleicht ein prophetischer Blick auf den, der an Ostern als Erster das Totenreich mit einem erlösten, neuen Leib verlassen sollte: Jesus Christus. Eine Sehnsucht, eine Ahnung, eine Hoffnung – und zugleich ein tiefes Wissen: Ich weiss, mein Erlöser lebt, auch wenn ich ihn noch nicht kenne!

Ob vielleicht in diesen letzten Wochen bei einigen von uns die Frage nach dem Erlöser auch wieder etwas präsenter geworden ist? Ein Virus hat unser aller Leben plötzlich ganz schön durcheinander gebracht … und keiner weiss so genau, wann das alles enden oder wie das alles ausgehen wird.

Woran halte ich mich fest in solchen Momenten? Weiss ich, dass mein Erlöser lebt? Kann man es hören, bei dem, was ich sage? Kann man es ablesen daran, wie ich lebe?

Gerade die Osterzeit erinnert uns daran, dass wir in und gegen alle leidvollen Erfahrungen mit Ijob darauf vertrauen dürfen: Ich weiss, dass mein Erlöser lebt und dass er am Ende über dem Staub (auch meines Lebens) stehen wird.

Nadia Miriam Keller, Theologin, ursprünglich Pflegefachfrau, arbeitet als Spital­seelsorgerin i.A. am St. Claraspital in Basel