17.02.2018 – Editorial

Hunger

Die Skier gleiten über den Schnee, Schritt um Schritt geht es vorwärts. Das Geräusch der Stöcke beim Einstechen begleitet mich als Rhythmus, schneller wenn es eben ist, langsamer wenn es bergauf geht. Auf der Zusatzschlaufe hinauf auf eine Geländeterrasse und dann wieder hinunter zur Hauptroute im Talboden sind ziemlich ruppige Passagen zu bewältigen, aber das ist ja das was ich hier im Wald suche: eine Herausforderung. Alles geht gut, auch die (zwar nicht steile, aber dafür lange) Abfahrt. Auf der Loipe unten am Bach geht aber schon bald nichts mehr. Ich laufe zwar noch, aber wie gegen eine unsichtbare Wand – Hungeralarm!

Natürlich habe ich gefrühstückt, bevor ich zur mehrstündigen Tour gestartet bin, aber jetzt ist der Tank leer, lange vor der Mittagspause. Das ist er nun also, der berühmte Hungerast. Wenn ich als Passivsportlerin vor dem Fernseher davon hörte, war er ein Anlass zum Schmunzeln (wie können Profisportler bei der Verpflegung so daneben hauen), als aktive Betroffene finde ich die Situation gar nicht lustig. Schlimm ist sie allerdings nicht: ein kurzer Stopp, eine Portion aus dem mitgeführten Notvorrat, und schon ist die Mauer weg.

Wir sind uns so gewohnt, jederzeit essen zu können, dass wir nicht nachvollziehen können, was es heisst, wirklich zu hungern, jeden Abend unfreiwillig mit leerem Magen schlafen zu gehen. Unser Überfluss führt dazu, dass wir uns mehr mit den Folgen von zu viel als zu wenig Nahrung befassen. Dabei geht leicht vergessen, wieviele Menschen zu wenig zu essen haben und deshalb ihr körperliches und geistiges Potenzial nicht ausschöpfen können. Rund 800 Millionen Frauen, Kinder und Männer sind es. An den Folgen von Hunger und Unterernährung sterben mehr Menschen als an HIV/AIDS, Malaria und Tuberkulose zusammen. Und ­paradoxerweise sind Menschen dort, wo Nahrung produziert wird, am stärksten von Hunger ­betroffen. Drei von vier Hungernden leben als Kleinbauern, Viehzüchter und Arbeiter auf dem Land. Immer kleinere Anbauflächen, aber auch Methoden und Produkte, die den Boden ausbeuten, und nicht zuletzt der Klimawandel, den wir anheizen, gefährden ihre Lebensgrundlage.

Es macht deshalb Sinn, dass das Engagement von Organisationen wie dem Fastenopfer der Stärkung von Kleinbauern und der Förderung von nachhaltigen Landwirtschaftsmo­dellen gilt. Wir als Konsumenten können dies durch bewusste Entscheide beim Einkaufen ­unterstützen.

Regula Vogt-Kohler