Der Jordan, die Wirkungsstätte Johannes‘ des Täufers (Foto: Dorothee Becker)
Der Jordan, die Wirkungsstätte Johannes‘ des Täufers (Foto: Dorothee Becker)
23.06.2018 – Impuls

Jesaja 49, 1–6

Hört auf mich, ihr Inseln, hört gut zu, ihr Völker in der Ferne! Gott hat mich berufen von Mutterleib an, gedachte meines Namens, als ich noch im Leib meiner Mutter war. Gott hat meinen Mund wie ein scharfes Schwert gemacht, mich im Schatten der Gotteshand geborgen, mich zu einem spitzen Pfeil gemacht, im Köcher mich verwahrt.
Gott hat zu mir gesprochen: «Du stehst in meinem Dienst! Israel, durch dich will ich meine Würde zeigen!» Ich aber hatte mir gesagt: «Umsonst habe ich mich bemüht, für nichts und wieder nichts meine Kraft verbraucht!» Trotzdem: Mein Recht liegt bei Gott und der Lohn meines Tuns bei meiner Gottheit.
Aber nun hat Gott gesprochen! Von Mutterleib an bin ich gebildet, im Dienst Gottes zu stehen, um Jakob zurückzuführen zu Gott, so dass Israel für Gott gesammelt wird. Ich hatte Gewicht in Gottes Augen und meine Gottheit war meine Kraft. Und Gott sprach: «Zu wenig ist es, dass du in meinem Dienst stehst, um die Stämme Jakobs aufzurichten und die ­Geretteten Israels zurückzubringen, sondern ich mache dich zum Licht der fremden Völker, damit meine Rettung reicht bis an die Enden der Erde.»

Bibel in gerechter Sprache

 

«Hört auf mich, hört gut zu!»

Johannes dem Täufer, für dessen Fest in diesen Tagen dieser Bibeltext ausgewählt ist, wurde schon bei der Geburt zugesagt, was im schönen Text jedes kirchlichen Morgengebetes überliefert ist: «Und du, Kind, wirst Prophet des Höchsten heissen: denn du wirst dem Herrn vorangehen und ihm den Weg bereiten.» Ihm wurde von Mutterleib an zugestanden, dass Gott ihm eine besondere Aufgabe zugewiesen hat. Die er ausfüllte, indem er verkündigte, predigte, taufte und sein Leben hingab.

In jener Zeit und sowieso immer schon hatte Gott die Macht, einen Menschen zu bestimmen, ihn in seinen Dienst zu rufen und zu beauftragen. Und wer sollte Gott da widersprechen?

Offensichtlich wird Gott jedoch die Macht, Menschen zu berufen und zu befähigen, heute nicht mehr zugetraut. Jedenfalls in kirchlichen Kreisen. Ja, mehr noch: Gottes Macht, zu rufen und zu befähigen, wen er will, wird in Frage gestellt und eingeschränkt. Wenn Bischöfe und andere für die Berufungspastoral Verantwortliche beklagen, es gebe keine (Priester-)Berufungen, dann frage ich mich, ob sie richtig hinschauen oder ob sie gar nicht wahrnehmen wollen, was jetzt schon ist. Wenn der Präfekt der Glaubenskongregation die Priesterweihe für Frauen ausschliesst, weil das Weiheverbot unfehlbar entschieden sei, dann hat er offenbar nicht auf die Bischöfe und Kardinäle gehört, die dem widersprechen – wenn auch vielleicht nicht laut genug.

Wenn es um Berufung geht, dann geht es vor allem um das Hinhören. Derer, die eine Berufung in sich spüren und derer, die die Verantwortung haben, Berufungen für den kirchlichen Dienst zu erkennen und darüber zu entscheiden.

Und vielleicht sind die, die eine Berufung spüren zu einem speziellen Dienst, die befähigt sind, zu verkündigen, zu leiten und zu heilen, die sich haben in den kirchlichen Dienst nehmen lassen ohne eine Ordination, nicht laut genug? Vielleicht ist das Schwert ihres Mundes zu wenig scharf? Sind die Pfeile stumpf geworden?

Ich bin überzeugt, dass Gottes Geistkraft weht, wo sie will. Dass der Geist wirkt und einem jeden, einer jeden die je besondere Gabe zuteilt, wie er will (1 Kor 12,11). Und ich halte es für eine Missachtung der Freiheit des Heiligen Geistes, von vornherein auszuschlies­sen, dass Frauen und Männer, ob zölibatär oder verheiratet, zu diesem speziellen kirchlichen Dienst berufen sein können.

Jesus selbst hat verschiedenste Menschen in seinen Dienst berufen – und nicht unbedingt die untadeligsten. Und der erste Mensch, dem er nach seiner Auferstehung den Auftrag gab, die Botschaft von der Auferstehung weiterzusagen, war eine Frau: Maria von Magdala. Die Präfation, die seit zwei Jahren an ihrem Festtag, dem 22. Juli, gebetet wird, endet ähnlich wie der Lesungstext: «Und er hat sie (Maria von Magdala) vor den Aposteln mit dem Apostelamt ausgezeichnet, damit die gute Nachricht vom neuen Leben bis an die Enden der Erde gelange.»

Ob nun Johannes der Täufer, der Prophet Jesaja, Maria von Magdala oder jede und jeder von uns mit ihren, mit seinen speziellen Begabungen und Aufgaben innerhalb und ausserhalb der Kirche: Wir sind berufen. Gott macht uns «zum Licht der Völker, damit seine Rettung reicht bis an die Enden der Erde.»

Dorothee Becker, Theologin und Seelsorgerin, Pfarrei Heiliggeist, Basel