09.01.2020 – Editorial

Hören und staunen

Fröhliche Feststimmung war spürbar, als unser Chor am Weihnachtstag auf der Empore die Messe sang. Die volksliedhaften Melodien fanden den Weg in die Herzen. So kam auch zwischen den Gesängen in den Reihen der Sängerinnen und Sänger Heiterkeit auf. Doch plötzlich bemerkte ich beim Kollegen neben mir gespannte Aufmerksamkeit. «Im Anfang war das Wort / und das Wort war bei Gott / und das Wort war Gott» – wie ein Donner trafen ihn die ersten Verse des Johannesevangeliums. Für ihn sind es die grössten Worte der Heiligen Schrift. Die Kraft dieses seherischen Rufes lässt ihn nie mehr los.

Welches sind Ihre Lieblingsworte in der Bibel? Vielleicht eines aus der Schöpfung: «Gott sprach: Es werde Licht. Und es wurde Licht» (Genesis 1,3). Oder: «Gott erschuf den Menschen als sein Bild, als Bild Gottes erschuf er ihn.» (Genesis 1,27). Der Lobpreis Gottes durch Maria, das Magnifikat: «Er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen» (Lukas 1,52). Oder der Weg, der uns allen offensteht, um dem Gottessohn zu begegnen: «Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan» (Matthäus 25,40).

Das sind Worte, die uns seit Kindertagen begleiten. Aber wer zuhört, vernimmt aus den biblischen Büchern auch weniger Bekanntes, das uns staunen lässt. «Denn ein Mensch, der da isst und trinkt und hat guten Mut bei all seinem Mühen, der ist eine Gabe Gottes» (Kohelet 3,13, nach der Lutherbibel). Wie wahr!

Auf Wunsch von Papst Franziskus lädt die Weltkirche am 26. Januar erstmals zu einem Bibelsonntag oder «Sonntag des Wortes Gottes» ein, gleich nach der Gebetswoche für die Einheit der Christen. Und die Internationale Katholische Bibelföderation (KBF) hat am 1. Dezember ein Jahr der Bibel begonnen. Es stimmt: In der Bibel zu lesen, ist schwierig. Laut lesen und sich selbst oder anderen zuhören hilft. Eine seltene Gelegenheit dazu bietet das ökumenische Zentrum Offline in Basel: «Die biblischen Geschichten wollen vorgelesen und sollen gehört werden. Immer wieder neu. Und das wollen wir während elf Tagen gemeinsam tun.» Vom 2. bis 12. Februar wird in der Basler Tituskirche auf dem Bruderholz die ganze Bibel vorgelesen. Jede und jeder ist eingeladen, sich zu beteiligen – Angaben unter offline-basel.ch.

Dank der Lesung in einer Kirche begegnete mir vor Kurzem eine Stelle mit der filmreifen Schilderung einer Bibellesung mit dem «ganzen Volk» in Jerusalem. Ich wünsche Ihnen im Jahr 2020 manch ein Freudenfest, wie es dort im Buch Nehemia (Kapitel 8,1–12) gefeiert wird!

Christian von Arx