28.01.2021 – Editorial

Hingehen und sehen

Es ist paradox: Da erfasst uns eine Krise, die den Informationsbedarf massiv an­steigen lässt – und gleichzeitig Medienunternehmen aus wirtschaftlichen Gründen dazu zwingt, Journalisten und Journalistinnen auf Kurzarbeit zu setzen. Und nicht nur das: Die Art der Krise wirkt sich auf den Arbeits­alltag der Medienleute aus. Homeoffice ist Pflicht, Telefon statt Treffen, persönliche Begegnungen möglichst nur noch online, am Computer statt im Café.

«In der Kommunikation kann nichts jemals das persönliche Sehen komplett ersetzen. Einige Dinge kann man nur durch Erfahrung lernen», schreibt Papst Franziskus in seiner Botschaft zum Mediensonntag. Der Welttag der sozialen Kommunikationsmittel findet jeweils am Sonntag vor Pfingsten statt, die päpstliche Botschaft dazu erscheint zum Fest des heiligen Franz von Sales, des Schutzpatrons der Journalisten, am 24. Januar. «‹Komm und sieh› (Joh 1,46). Kommunizieren, indem man den Menschen begegnet, wo und wie sie sind», lautet das diesjährige Motto.

Hingehen und sehen und dann darüber berichten – das ist die Definition klassischer journalistischer Arbeit. Das Sehen bezieht sich nicht nur auf die Augen, sondern meint das Wahrnehmen mit allen Sinnen. Längst vor der Pandemie herrschte in der Medienbranche Krisenstimmung. Das Geschäftsmodell traditioneller Medien, konkret gedruckter Zeitungen, funktioniert nicht mehr, und die Leser und Leserinnen sind nicht bereit, für ihr Blatt immer mehr zu bezahlen. Im Gegenteil: Mit der Offensive der Gratiszeitungen und dem anfänglich frei zugänglichen Angebot im Internet haben die Medienunternehmen selbst die Vorstellung vermittelt, dass Informationen gratis zu haben sind.

«Die Krise in der Verlagsbranche droht dazu zu führen, dass Redaktionen Informationen vor dem Computer, in den Presseagenturen und in sozialen Netzwerken herstellen, ohne jemals auf die Strasse zu gehen», schreibt Papst Franziskus. Zahlreiche Begebenheiten auf unserem Planeten würden die Welt der Kommunikation dazu einladen, zu kommen und zu sehen. Es bestehe aber die Gefahr, die Pandemie und somit jede Krise nur unter dem Blickwinkel der reicheren Welt zu erzählen. Als Beispiel nennt Franziskus die Frage der Impfstoffe.

Kritik übt der Papst auch an kirchlicher Kommunikation. Leere Beredsamkeit im Übermass gebe es ebenso in den eigenen Reihen. Die Botschaft des Evangeliums verbreite sich durch authentische Begegnungen von Mensch zu Mensch.

Regula Vogt-Kohler