Erinnerungen an schöne Erlebnisse, wie beispielsweise Wanderungen im Bergfrühling, können Bilder lebendig werden lassen, die Verzagten ein Lächeln auf ihr Gesicht zaubern.  | @ berggeist00/pixelio.de
Erinnerungen an schöne Erlebnisse, wie beispielsweise Wanderungen im Bergfrühling, können Bilder lebendig werden lassen, die Verzagten ein Lächeln auf ihr Gesicht zaubern. | @ berggeist00/pixelio.de
06.09.2018 – Impuls

Jesaja 35, 4–7a

Sagt den Verzagten: Habt Mut, fürchtet euch nicht!
Seht, hier ist euer Gott! Die Rache Gottes wird kommen und seine Vergeltung;
er selbst wird kommen und euch retten.
Dann werden die Augen der Blinden geöffnet,
auch die Ohren der Tauben sind wieder offen.
Dann springt der Lahme wie ein Hirsch,
die Zunge des Stummen jauchzt auf.
In der Wüste brechen Quellen hervor,
und Bäche fliessen in der Steppe.
Der glühende Sand wird zum Teich
und das durstige Land zu sprudelnden Quellen.

Einheitsübersetzung

 

Gute Besserung!

Wie verabschieden Sie sich, wenn Sie einen Krankenbesuch gemacht haben? Für mich ist das oft ein echtes Problem. Was lasse ich zurück bei diesem Menschen? Ich habe zugehört. Ich habe Anteil genommen. Ich habe die Not wahrgenommen. Ich habe die Angst gespürt. Ob das dem Kranken wohl gutgetan hat? Ob es ihm gar geholfen hat, seine Lage anzunehmen?

In vielen Fällen fühle ich grosse Unsicherheit, oft gar direkte Hilflosigkeit. Aber das kann ich ja im Krankenzimmer so nicht sagen, nicht wahr? Soll ich von Betroffenheit reden wie die Politiker, die irgendwie Nähe zu den Opfern schlimmer Ereignisse demonstrieren müssen?

Dazu kommt noch der Anspruch, als Seelsorger und Theologe einen fundierten Beitrag zum Verstehen und Bewältigen jeglicher Lebensvorgänge liefern zu können. Ich habe mir diesen Anspruch nicht ausgedacht. Er kommt mehr oder weniger ausgesprochen von den Kranken. Wenn die Medizin keine gute Prognose liefern kann, dann sollte doch der Glaube noch den nötigen Rettungsring bereithalten. Schliesslich glaubt man doch in guten Tagen auf Vorrat, damit man seelische Kräfte hat, wenn schlimme Zeiten kommen.
Ich habe natürlich einen gewaltigen Vorteil gegenüber anderen Besuchern und Besucherinnen. Ich darf Gebet und Segen anbieten, ohne dass ich als Frömmler oder Betschwester hinausgeschickt werde. Ich kann also die geschilderte Not und die geäusserten Sorgen in Worte fassen und an Gott richten. Und ich kann den Kranken einladen, sich der Führung Gottes anzuvertrauen, wo immer die Lebensreise auch hinführen wird. Das Gebet des Heiligen Bruder Klaus ist unübertrefflich gut: Lass dich los, Gott fängt dich auf.

Ich plädiere immer für Realismus: Hoffen kann man nur mit offenen Augen, und Hoffnung ist etwas ganz anderes als Illusion. Jemandem sagen, es werde alles gut werden, trotz besseren beziehungsweise schlechteren Wissens auf beiden Seiten, zerbricht die Beziehung. Dann reden nur noch Masken miteinander, Scheinbegegnung hilflosen guten Willens. Was schlecht ist, das muss man auch schlecht nennen. Erst danach kann man über Hoffnung reden.

Irgendwann aber ist es Zeit für den Abschied. Wie kann der ausfallen? Gute Wünsche sind natürlich immer gut. Ob die auch in Erfüllung gehen werden, weiss niemand. Vielleicht rechnet auch niemand damit, dass die gute Besserung tatsächlich eintritt, so wie wir uns das ausdenken würden. Welche gute Besserung kann man sich vorstellen am Bett eines sterbenden Menschen?

Und doch ist dieser Besserungswunsch so etwas wie ein Segen, den man zum Abschied spricht. Dabei dürften die hilfreichen Bilder stärker sein als die Fakten aus dem Labor. Der Segen ist der Zuspruch aus dem Glauben, in dem sich Schwäche und Stärke verbinden. Ich nehme die Schwäche des Kranken mit, sofern ich herzoffen hingehört habe, und dieser nimmt meine Stärke zu sich, sofern meine Gabe nicht nur aus Worthülsen besteht. Genau dafür braucht es die Bilder, die mehr transportieren als abstrakte Worte. Sicher besteht ein Segen auch aus Worten. Aber die werden im Kopf des Gesegneten in stärkende Bilder umgewandelt. Unterstrichen werden diese Worte durch den Gestus des Berührens. Der Segen wird auf diese Weise körperlich erfahren.

Jesaja wird beauftragt, den Verzagten einen solchen Segen zuzusprechen. Es geht dabei nicht darum, mit schönen Worten Illusionen zu erzeugen, Wahrsagungen einer Zukunft, in der alles besser ist. Nein, es geht darum, in den Verzagten Bilder lebendig werden zu lassen, die ihnen ein Lächeln auf ihr Gesicht zaubern: Ja, das wäre schön!

So kann man sich glaubhaft gut nach einem Krankenbesuch verabschieden, nicht mit einer unrealistischen Prognose, nicht mit einer leeren Formel, sondern mit einem Bild, das in beiden Menschen zurückbleibt. Suchen Sie sich doch aus dem Jesaja-Text mal ein Bild aus, das Sie mit einem Menschen teilen wollen. Dann bricht in der Wüste eine Quelle auf, die Sie und den anderen erfrischt. Bhüet Sie/di Gott.

Ludwig Hesse, Theologe, Autor und Teilzeitschreiner, war bis zu seiner Pensionierung Spitalseelsorger im Kanton Baselland