Syrische Flüchtlinge in Jordanien: Keine heilige Familie, nichts ist heil. Ist da auch für sie ein Licht? | © Alexandra Wey/Caritas
Syrische Flüchtlinge in Jordanien: Keine heilige Familie, nichts ist heil. Ist da auch für sie ein Licht? | © Alexandra Wey/Caritas
24.12.2020 – Impuls

Lukas 2,27–32

Er wurde vom Geist in den Tempel geführt; und als die Eltern das Kind Jesus hereinbrachten, um mit ihm zu tun, was nach dem Gesetz üblich war, nahm Simeon das Kind in seine Arme und pries Gott mit den Worten: Nun lässt du, Herr, deinen Knecht, wie du ­gesagt hast, in Frieden scheiden. Denn meine Augen haben das Heil gesehen, das du vor ­allen Völkern bereitet hast, ein Licht, das die Heiden erleuchtet, und Herrlichkeit für dein Volk Israel.          

Einheitsübersetzung 2016

 

Es werde in uns ein Licht

Woche für Woche darf ich im Gefängnis in eine der Zellen eintreten. Kürzlich erlebte ich es so: Der Insasse begrüsste mich und wandte sich an seinen Kollegen: «Darf ich vorstellen, das ist meine grosse Schwester. Ich habe schon lange keinen Kontakt mehr zur Familie. Jetzt sind wir eine Familie.» Der junge Mann stellte sich vor. Er trägt den Namen eines alttestamentlichen Propheten. Mir wurde der Platz auf dem runden, grauen Holzhocker angeboten. Im Gespräch kamen wir auf eine russische Stadt zu sprechen – ich war schon mal dort, der junge Mann hatte dort studiert. Ich erzählte von meiner Reise: Unsere Gruppe war eingeladen. Was wurde uns angeboten: ein Berg von Fischen und natürlich Wodka! Das Mineralwasser vermisste ich, also trank ich Wodka, mit der entsprechenden Wirkung. Die beiden Insassen mussten laut lachen. Ein schallendes Gelächter in dunkler Zeit. Wir beteten einen Psalm. – Die Umstände waren traurig, aber da war ein Licht, obwohl keine einzige Kerze brannte. Es war eine kleine Familie, eine ganz und gar nicht heilige Familie. Mittendrin war etwas wie ein Feuer, und wir sassen drum herum.

Szenenwechsel: In der Weihnachtsausstellung im Landesmuseum bin ich dieser Tage von Krippe zu Krippe gegangen. Auch da war immer dieses Licht der Heiligen Familie in der Mitte, um das sich Tiere, Hirten und Hirtinnen und Könige versammelten. Aber war diese Familie wirklich heil?

Was die Bibel schildert, ist nicht idyllisch. In der Erzählung über die Geburt in Armut erfahren wir von einer bedrohten Familie, die vor staatlicher Gewalt und Repression in die Fremde flieht. Auf Weisung eines Engels fliehen Maria, Josef und das Kind nach Ägypten und kehren später zurück nach Nazareth. Wunderbares wird über sie ausgesagt, das aus dem Mund von alten Menschen wie Hanna und Simeon kam: Dass Jesus Licht ist und Herrlichkeit für das Volk Israel (Lukas 2,30–32).

Für Jesus war die Familie keine heile Welt – wie für viele heute auch nicht. Er hatte später ein befremdlich distanziertes Verhältnis zu seiner Familie, was für einen Juden nicht üblich war. Er liess seine Familie einmal draussen stehen und sagte: «Wer den Willen Gottes tut, der ist für mich Bruder und Schwester und Mutter» (Markus 3,35). Mit Jesus entsteht eine neue, grössere Familie, die Gottesfamilie.

Es ist wunderbar, wenn Kinder in den Familien einen Ort der Geborgenheit und Lebensentfaltung finden. Glücklich sind sie und gesegnet ihre Eltern! Sehr viele Menschen jedoch erleben das Gegenteil. Die Familien geben Dunkles und Helles auf den Weg. Mit diesem fertig zu werden, kann ein Leben lang dauern.

Zurück zur Gefängniszelle: Da war ein Licht, obwohl keine Kerze brannte. Es war eine kleine Familie, eine ganz und gar nicht heilige Familie. Mittendrin war etwas wie ein Feuer, und wir sassen drum herum.

Es werde an Weihnachten in uns ein Licht, das die Seele in einer vielleicht schwierigen Gemeinschaft oder den Stunden des Alleinseins aufhellt und wärmt. Es möge in der Situation der Pandemie aufleuchten. Möglicherweise ist die Trauer um einen an der Krankheit Verstorbenen im Vordergrund. In der Menschheitsfamilie werden wir «Bruder und Schwester und Mutter», die sich um das Jetzt und die Zukunft kümmern, weil wir den geliebten Bruder und Freund, Jesus, unter uns haben.

Anna-Marie Fürst, Theologin, arbeitet in der Gefängnisseelsorge Basel-Stadt­