Frische Früchte haben ihren Preis. Wenn ein Teil des eigentlich für die Lebenshaltung vorgesehenen Geldes für die Miete verwendet werden muss, fehlt es für eine gesunde Ernährung. (Foto: Timo Klostermeier/pixelio.de)
Frische Früchte haben ihren Preis. Wenn ein Teil des eigentlich für die Lebenshaltung vorgesehenen Geldes für die Miete verwendet werden muss, fehlt es für eine gesunde Ernährung. (Foto: Timo Klostermeier/pixelio.de)
28.06.2018 – Hintergrund

Ergänzungsleistungen müssen Armut bekämpfen

Caritas Schweiz: EL-Reform ist im Nationalrat vom Weg abgekommen

Die Reform der Ergänzungsleistungen (EL) zur AHV/IV ist im Fokus des eidgenössischen Parlaments. Zwischen den Räten bestehen grosse Differenzen. Der Nationalrat hat die Vorlage des Bundesrats zu einer Sparversion zerpflückt. Der Ständerat hat jedoch Ende Mai nur in wenigen Punkten eingelenkt.

Mit der demografischen Alterung sind auch die Kosten für die Ergänzungsleistungen (EL) jüngst angestiegen. Eine Reform soll das EL-System sichern. Aus der Sicht der Caritas hat der Nationalrat bei seiner Beratung in der Frühlingssession aus der Vorlage des Bundesrates ein Sparprojekt gemacht. Der Ständerat ist bei seiner zweiten Beratung des Geschäfts der grossen Kammer nur in wenigen Punkten gefolgt. Die kleine Kammer hält insbesondere an einer substanziellen Erhöhung der Höchstbeträge für Mieten fest und belässt den Lebensbedarf für Kinder auf der bisherigen Höhe. Definitiv beschlossen ist noch nichts. Das Geschäft geht nun wieder zurück an den Nationalrat.

Unverzichtbarer Bestandteil

Seit ihrer Einführung 1966 sind die EL unverzichtbarer Bestandteil des schweizerischen Systems der sozialen Sicherheit. Wenn die Renten aus AHV, Pensionskasse und privatem Sparen nicht ausreichen, um die Existenz zu sichern, sieht die Bundesverfassung EL vor. Diese berechnen sich aus den Mietkosten, den Krankenkassenprämien und einem Betrag zur Deckung des Lebensunterhalts, dem sogenannten Grundbedarf. Gut 200 000 Rentnerinnen und Rentner bezogen Ende 2016 EL zur AHV. Grund für tiefe Renten im Alter sind kleine Löhne während der Erwerbphase, also Arbeit im Tieflohnbereich, Erwerbsunterbrüche, beispielsweise um Kinder zu betreuen, oder Teilzeitarbeit. Bei 113 000 Personen reichte die IV nicht für ein existenzsicherndes Einkommen aus und sie bezogen deshalb ebenfalls EL.

Aus Armutsperspektive inakzeptabel

Die Reform der EL war dazu gedacht, das EL-System an die gesellschaftlichen Veränderungen anzupassen. Der Bundesrat beabsichtigte die Verwendung von Eigenmitteln für die Altersvorsorge zu verbessern, Schwelleneffekte abzubauen und gleichzeitig die Leistungen zu erhalten. Mit den Entscheiden im Nationalrat wurden grundlegende Anliegen der Vorlage jedoch radikal umgekrempelt. Mindestens zwei davon sind aus armutspolitischer Perspektive absolut inakzeptabel.

Ungenügender Beitrag an Miete

Bei über einem Drittel aller Rentnerinnen und Rentner mit EL liegen die realen Mieten seit längerer Zeit über den Beiträgen, welche die EL an die Mieten bezahlt (sogenannte Mietzinsmaxima). Während die realen Mieten insbesondere für günstiges Wohnen im urbanen Raum in den letzten Jahren angestiegen sind, wurden die Maximalbeiträge an die Mieten seit 2001 nicht mehr der Teuerung angepasst. Die betroffenen Rentnerinnen und Rentner müssen also einen Teil ihrer Miete aus den Lebenshaltungskosten bezahlen. Dieses Geld fehlt dann für eine gesunde Ernährung, das Zugbillett zum Grosskind oder das Zeitungsabonnement. Weil EL nicht einfach Notsituationen überbrücken, sondern das Einkommen einer Rentnerin beziehungsweise eines Rentners bis zum Lebensende bestimmen, wirken diese Einschränkungen langfristig. Die soziale Teilhabe der Betroffenen ist gefährdet.

Für die Caritas ergibt sich daraus klar: Die Maximalbeiträge an die Mieten sind zwingend nach oben anzupassen. Der Vorschlag des Nationalrats, den Kantonen eine Möglichkeit zur Kürzung um 10 Prozent einzuräumen, ist inakzeptabel. Je nach Region wären die Beiträge an die Mieten nach dieser Berechnung sogar tiefer als heute.

Lebensbedarf für Kinder gesenkt

Der Existenzsicherung von Familien und Kindern kommt eine besondere Bedeutung zu. Kinder, die in Armut aufwachsen, erleben materielle Benachteiligung, soziale Ausgrenzung und haben schlechtere Bildungschancen. Frühe Förderung – etwa ein Platz in einer Kindertagesstätte – ist oft zu teuer. Die schlechteren Startchancen können aber später nicht mehr wettgemacht werden. Die Kinder bleiben häufig bis ins Erwachsenenalter arm. Nun hat der Nationalrat in der Frühlingsession eine Senkung des Lebensunterhalts für Kinder entschieden, deren Eltern auf EL zur IV angewiesen sind. Mit einer Senkung des Beitrags an den Lebensunterhalt für Kinder unter elf Jahren von 840 auf 590 Franken, wie sie der Nationalrat vorsieht, spitzt sich die Armutssituation der Kinder aber markant zu. Häufig bleiben Eltern, die EL zur IV beziehen, langfristig auf diese angewiesen und haben aufgrund ihres Gesundheitszustandes keine Möglichkeit, ihr Einkommen zu verbessern. Mit dem tieferen Beitrag zum Lebensunterhalt der Kinder werden deren Möglichkeiten zur Teilhabe an der Gesellschaft stark eingeschränkt. Es fehlt das Geld für den Vereinsbeitrag im Fussballclub ebenso wie für die Nachhilfestunden.

EL sind Verfassungsauftrag

Die Existenzsicherung ist in der Verfassung verankert. Ergänzungsleistungen bewahren Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen oder Behinderung und deren Kinder sowie Rentnerinnen und Rentner, die mitunter ein Leben lang gearbeitet haben, vor Armut.

Bettina Fredrich,
Leiterin Fachstelle Sozialpolitik,
Caritas Schweiz/kh