20.05.2021 – Editorial

Entscheide statt Routine

Wir kämen zu nichts, wenn wir immer erst dann etwas tun würden, nachdem wir alle uns zur Verfügung stehenden Informationen gegeneinander abgewogen und gestützt darauf einen Entscheid gefällt hätten. Unser Alltag funktioniert zu einem beträchtlichen Teil, weil vieles Routine ist und mehr oder weniger automatisch abläuft. Geht etwas kaputt, besorgen wir uns Ersatz, in der Regel das Gleiche oder etwas Ähnliches.

Was uns, aus einer oberflächlichen Sicht, hilft, das Leben zu bewältigen, steht uns im Weg, wenn fundamentale Veränderungen gefragt sind. Das Problem beim Umgang mit dem Klimawandel besteht nicht nur darin, dass wir uns schwer damit tun, die Dringlichkeit eines Handelns zu erkennen und zu akzeptieren. Dieser Handlungsbedarf müsste dann auch noch in unserem Alltag umgesetzt werden. Dort, wo Routine herrscht, müsste etwas ganz Neues Einzug halten, jetzt und nicht erst in einer relativ fernen Zukunft.

«Oft entscheiden wir gar nicht mehr», sagte Paul Burger, Professor für Nachhaltigkeitsforschung an der Universität Basel, im Rahmen des Vorlesungszyklus der von den römisch-katholischen Kirchen beider Basel getragenen Aeneas-Silvius-Stiftung (aeneas-silvius.ch; mit Links zum Vortrag). Nachhaltigkeitsforschung beschäftigt sich unter anderem damit, was Menschen dazu bringt, ihr Verhalten zu verändern. Die Frage sei, wie man Alltagsroutinen aufbrechen und wieder zu Entscheiden kommen könne, sagte Burger.

Änderungen der individuellen Erwartungen an Lebensqualität spielen eine zentrale Rolle. Dass sich hier etwas bewegt, ist nicht nur eine Idealvorstellung, sondern tatsächlich auch zu beobachten. Als Beispiel nannte Burger den Besitz eines Autos. Als Mensch ohne Auto habe er vor 20 Jahren in den USA als Exot gegolten, heute lebe in der Stadt Basel die Mehrheit ohne eigenes Auto. Gemäss einer Studie zur Lebenszufriedenheit mache es keinen Unterschied, ob jemand mit oder freiwillig ohne Auto lebe.

Die Pandemie hat das Gebot eines nachhaltigen Umgangs mit unserem Planeten ins Zentrum gerückt: Die Lebensräume von Wildtieren sollten sich nicht mit denen von Menschen und Nutztieren überschneiden. Für eine ökologische Umkehr plädiert auch die Enzyklika «Laudato si’». Am Sonntag hat Papst Franziskus die Schlusswoche des im Mai 2020 gestarteten «Laudato-si’»-Jahres ausgerufen. Dies sollte uns Ansporn sein, die langfristigen Konsequenzen unserer kurzfristigen (Nicht)entscheide zu bedenken.

Regula Vogt-Kohler