Bild von Dietrich Bonhoeffer an einer Litfasssäule am Zionskirchplatz, Berlin-Mitte. | © Vera Rüttimann/kath.ch
Bild von Dietrich Bonhoeffer an einer Litfasssäule am Zionskirchplatz, Berlin-Mitte. | © Vera Rüttimann/kath.ch
02.04.2020 – Hintergrund

Von guten Mächten

Lass warm und hell die Kerzen heute flammen,
die du in unsre Dunkelheit gebracht,
führ, wenn es sein kann, wieder uns zusammen.
Wir wissen es, dein Licht scheint in der Nacht.

Wenn sich die Stille nun tief um uns breitet,
so lass uns hören jenen vollen Klang
der Welt, die unsichtbar sich um uns weitet,
all deiner Kinder hohen Lobgesang.

Von guten Mächten wunderbar geborgen,
erwarten wir getrost, was kommen mag.
Gott ist bei uns am Abend und am Morgen
und ganz gewiss an jedem neuen Tag.

(Strophen 5 bis 7 von Dietrich Bonhoeffers Gedicht «Von guten Mächten treu und still umgeben», verfasst im Dezember 1944 in Gestapo-Haft.)

 

Dietrich Bonhoeffers Mission in der Schweiz

Vor 75 Jahren, am 9. April 1945, wurde der Theologe im Konzentrationslager erhängt

Dietrich Bonhoeffers Leben bietet auch 75 Jahre nach seinem Tod noch eher un­bekannte Seiten, die es zu entdecken gilt. Er pflegte nicht nur intensive Kontakte mit reformierten Pfarrern in der Schweiz, er war auch als geheimer Informant im Amt Ausland/Abwehr der deutschen Wehrmacht hierzulande unterwegs.

Am 9. April 2020 jährt sich zum 75. Mal die Ermordung des evangelischen Pfarrers Dietrich Bonhoeffer (1906–1945) im Konzentra­tionslager Flossenbürg. Hans Rudolf Fuhrer, Militärhistoriker aus Meilen, befasst sich sein einigen Jahrzehnten intensiv mit dem Leben des deutschen NS-Widerstandskämpfers.

Dietrich Bonhoeffer fasste zusammen mit Hans von Dohnanyi und Friedrich Justus Perels, zwei deutschen Juristen und Widerstandskämpfern gegen den Nationalsozialismus, im Herbst 1941 einen Entschluss: «Sie wollten Charlotte Friedenthal, einer jüdische Mitarbeiterin in der Bekennenden Kirche – einer Oppositionsbewegung evangelischer Christen, die sich bewusst gegen die ‹Deutschen Christen›, die dem Nationalsozialismus anhingen, wandten – die Flucht in die Schweiz ermöglichen», weiss Hans Rudolf Fuhrer. Das Unternehmen Sieben (U7) sei gewagt worden. Dietrich Bonhoeffer habe mit dem Basler Theologieprofessor Karl Barth und Alphons Koechlin, damals Präsident des Schweizerischen Evangelischen Kirchbundes, beim Chef der Eidgenössischen Fremdenpolizei, Heinrich Rothmund, um ein Einreisevisum für sie gebeten. 14 Personen, darunter Friedenthal, gelang im Herbst 1942 schliesslich die Flucht in die Schweiz.

Riskanter Einsatz

Hans von Dohnanyi stellte den deutschen Theologen unter einen «besonderen» Schutz: Er habe, so Hans Rudolf Fuhrer, ihn als so genannten V-Mann, also als geheimen Informanten, in der Spionageabteilung eingebaut, um ihn so vor der Gestapo zu schützen. Bonhoeffer sollte in der Schweiz in geheimer Mission über seine Kontakte zum Ökumenischen Rat der Kirchen in Genf Verbindungen zu den Alliierten knüpfen.

Der kritische Punkt an dieser Operation war, so Fuhrer, dass das Unternehmen U7 in der Schweiz Geld benötigte, um den Juden einen Lebensunterhalt zu ermöglichen. Diese Transaktionen durch Dohnanyi in die Schweiz seien von Bonhoeffers Führungsoffizier Wilhelm Schmidhuber in München im Verhör verraten worden. Bonhoeffer und Dohnanyi wurden verhaftet.

Kontakte zu reformierten Pfarrern

Nicht nur zu Alphons Koechlin und zu Karl Barth hatte Dietrich Bonhoeffer engen Kontakt, so Hans Rudolf Fuhrer. Zu nennen seien weiter die Basler Pfarrer Eduard Thurneysen und Wilhelm Vischer, die Zürcher Emil Brunner und Erwin Sutz, sein Freund aus der gemeinsamen amerikanischen Studienzeit, sowie der Genfer Kreis des Ökumenischen Rats der Kirchen um Willem Visser ‘t Hooft, mit dem Bonhoeffer in intensivem theologischem Austausch stand.

Hans Rudolf Fuhrer betont: «Bonhoeffer war oft und gern im sogenannten Bergli in Kilchberg zu Gast. Das war ein kleines Landhäuschen der Familie Pestalozzi. Diese lernte er über Karl Barth kennen.» Der Zürcher kann sich gut vorstellen, warum Bonhoeffer die Nähe zu Schweizer Pfarrkollegen so schätzte: «Da er in Deutschland abgeschottet war, stürzte er sich als bildungshungriger Mensch hier in theologische Debatten. Er wollte ­wissen, was in der Theologie gerade anstand und wohin sie sich entwickelte.» Vor allem deshalb habe er alle verfügbaren Kontakte in der Schweiz aufgesucht.

Hans Rudolf Fuhrer war bei seinen Recherchen zu Bonhoeffer in der Schweiz erstaunt, dass er im Bundesarchiv keine Akte über ihn fand. Auch sei ihm hierzulande keine Gedenktafel bekannt, die an Bonhoeffers Reisen in die Schweiz erinnern.

Bonhoeffer ist zeitlos aktuell

Was bleibt von Dietrich Bonhoeffer? Hans Rudolf Fuhrer sagt über den gebürtigen Breslauer: «Sein letzter Weihnachtsbrief von 1944 mit dem Gedicht ‹Von guten Mächten wunderbar geborgen …› ist zu einer ewigen Botschaft an die verzweifelte und zweifelnde Menschheit geworden.»

Für Christiane Tietz, bis 2018 Vorsitzende der deutschsprachigen Sektion der Internationalen Bonhoeffer-Gesellschaft, bleibt Dietrich Bonhoeffers Haltung und Handeln zeitlos aktuell. Gegenüber kath.ch sagt sie: «Bonhoeffers Grundgedanke, dass jeder Mensch in seiner konkreten Situation verantwortungsvoll zu leben hat, ist durchgängig aktuell. In einer Situation von wiedererstarkendem Antisemitismus, Rassismus und Nationalismus besitzt sein Denken natürlich besondere Aktualität.»

Vera Rüttimann, kath.ch