Opfer des sexuellen Missbrauchs und deren Familienangehörige bei der Präsentation des Berichts
der Staatsanwaltschaft von Pennsylvania am 14. August. | © Matt Rourke/keystone
Opfer des sexuellen Missbrauchs und deren Familienangehörige bei der Präsentation des Berichts der Staatsanwaltschaft von Pennsylvania am 14. August. | © Matt Rourke/keystone
23.08.2018 – Aktuell

«Die Kirche muss den Opfern Priorität einräumen»

Wie der Präsident der Schweizer Bischofskonferenz zum Bericht über Missbrauch in Pennsylvania Stellung nimmt

Ein Missbrauchsbericht erschüttert derzeit die USA. Charles Morerod, Präsident der Schweizer Bischofskonferenz, fordert eine grundsätzliche Änderung des Umgangs mit sexuellem Missbrauch in der Kirche – in der Schweiz, in den USA und weltweit.

Die Vorgänge in Pennsylvania seien «ein neues Kapitel in der finsteren Geschichte des sexuellen Missbrauchs in den Vereinigten Staaten», sagt Bischof Charles Morerod, Bischof von Lausanne, Genf und Freiburg sowie Präsident der Schweizer Bischofskonferenz. «Der Bericht des Staatsanwalts von Pennsylvania zeigt, dass sexuelle Übergriffe von Priestern begangen wurden. Er zeigt auch, dass sie von einigen Kirchenführern vertuscht wurden, was ‹einem zweiten Missbrauch› gleichkommt», sagt Bischof Morerod. Als Antwort auf diese Tragödien fordert der Bischof einen Wandel in der Kirche: «Den Opfern muss grundsätzlich Priorität eingeräumt werden.»

Eine solche Reform betrifft nicht nur die Vereinigten Staaten. «Auch in der Schweiz hat die katholische Kirche zu lange geschwiegen », urteilt Giorgio Prestele. Sie habe mehr Wert darauf gelegt, den Ruf der Institution zu wahren, als die Opfer ernst zu nehmen und zu schützen. Dabei spricht der Zürcher Jurist aus der Innenperspektive: Er leitet das  Fachgremium «Sexuelle Übergriffe im kirchlichen Umfeld» der Schweizer Bischofskonferenz.

Schmerzhafte Aufarbeitung

Das Bekanntwerden der Handlungen bestimmter Kleriker «schwächt die Kirche», sagt Morerod, unabhängig davon, ob sie nun einen sexuellen Übergriff begangen oder versucht hätten, diese zu vertuschen. «Aber dadurch kann die Kirche auch gesunden.»

Giorgio Prestele fügt hinzu: «Das immense Leid der Opfer veranlasst die Kirche, Massnahmen zu ergreifen: Stellen einzurichten, wo sie empfangen werden und wo ihnen zugehört wird, mit den staatlichen Behörden zusammenzuarbeiten oder unabhängige Hilfe anzubieten.»

In der Schweiz begann die Kirche laut Prestele erst 2002, die Opfer ernst zu nehmen. «Seitdem verläuft die Entwicklung langsam, aber stetig hin zu mehr Offenheit und  Transparenz.» Das Fachgremium «Sexuelle Übergriffe im kirchlichen Umfeld» veröffentlicht detaillierte Statistiken über Fälle von sexuellem Missbrauch im Schweizer Kontext. Und das Gremium fungiere als Lobby innerhalb der Bischofskonferenz, um «dem Umgang mit den vergangenen und den jüngsten Übergriffen Priorität einzuräumen», so Prestele.

Doch auch wenn sich die Dinge allmählich ändern, sind sich alle bewusst: Sexueller Missbrauch wird in der Kirche nie ganz verschwinden. Giorgio Prestele betont: «Wir müssen alles tun, damit Missbrauch nicht ignoriert wird.» Der Kommissionspräsident wünscht sich «eine umfassende, unabhängige, wissenschaftliche Untersuchung von sexuellem Missbrauch im kirchlichen Kontext.» «Eine solche Aufarbeitung der Wahrheit ist schmerzhaft», fügt Morerod an. «Doch sie ist auch notwendig. Jesus sagt uns: ‹Die Wahrheit wird euch befreien.›»

Pierre Pistoletti, kath.ch