n Bethlehem, an der Trennmauer zwischen Israel und den Palästinensergebieten. (Foto: Martin Spilker, kath.ch)
n Bethlehem, an der Trennmauer zwischen Israel und den Palästinensergebieten. (Foto: Martin Spilker, kath.ch)
03.02.2018 – Hintergrund

Die junge Generation sieht keine Zukunft in Palästina

Eindrücke von der Reise einer internationalen Delegation von Bischöfen nach Israel und Gaza

Die meisten jungen Christen in Israel und Palästina sehen ihre Zukunft nicht in ihrer Heimat, sondern anderswo, sagt der Generalsekretär der Schweizer Bischofskonferenz, Erwin Tanner-Tiziani. Er gehörte einer Delegation von zwölf europäischen und nordamerikanischen Bischofskonferenzen sowie aus Südafrika an, die vom 13. bis 18. Januar Israel und den Gazastreifen besuchte.

Was sind spontan Ihre stärksten Eindrücke dieser Reise?
Erwin Tanner-Tiziani: Lassen Sie mich mit den positiven Eindrücken beginnen: Die lachenden Kinder in den besuchten Gebieten der Westbank und im Gaza-Streifen. Die spontanen Gespräche mit besorgten Christen und Muslimen in Jerusalem, im palästinensisch-christlichen Ort Beit Jala, in der palästinensischen Stadt Beit Sahour und Gaza City und deren inständige Bitten, sie nicht zu vergessen und überall davon zu erzählen, was im Un-Heiligen Land wirklich passiert. Die Teilnahme am Schabbat-Abendessen bei einer liberalen jüdischen Familie und die angeregte Diskussion mit verschiedenen, teilweise provozierenden Rabbinern zum Verhältnis Judentum/Christentum.

Daneben gibt es leider auch negative Eindrücke: Der despektierliche Umgang der israelischen Beamten mit den Bischöfen beim Verlassen des Gaza-Streifens nach Israel. Ein auffallend geringes Wissen von der Religion des je anderen und eine fehlende persönliche Begegnung zwischen den Angehörigen der verschiedenen Religionen.

Im Zentrum standen Begegnungen mit jungen Christen. Wie sind deren Bildungschancen und berufliche Perspektiven?
Für die jungen Christen stellen die Schulen des Lateinischen Patriarchates – gleichsam als Schulen ohne Mauern – eine unerlässliche Bildungsstätte dar. Hier erhalten sie zusammen mit muslimischen Mitschülern nicht nur Fachwissen vermittelt, sondern erlernen – unter Einbezug der Eltern – auch Verhaltensregeln, die sie zu einem friedlichen und gerechten Zusammenleben befähigen sollen. Aber die berufliche Zukunft sieht für sie schwarz aus. Die meisten jungen Christen sehen diese im Ausland, also weder in Israel noch in Palästina, obschon für sie hier eigentlich ihre Heimat liegt. Die sehr hohe Arbeitslosigkeit und die israelische Politik gegenüber Palästinensern lässt ihre Hoffnung auf eine tragfähige berufliche und familiäre Zukunft gegen null sinken. Im Gazastreifen liegt die Arbeitslosigkeit bei der jungen Generation gar bei 70 Prozent.

Wie kann die Kirche vor Ort die jungen Menschen unterstützen?
Das Lateinische Patriarchat versucht die jungen Menschen mit Bildungs- und Arbeitsbeschaffungsprogrammen zu fördern. In den Genuss der Letzteren kommen Christen allerdings nur selten, da diese auf die Ärmsten der Armen zielen, zu denen sie in der Regel nicht gehören. Doch die Christen haben es immer schwerer, ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Die Unterstützung der Kirchen vor Ort reicht nicht aus, weshalb Unterstützung aus dem Ausland notwendig ist.

Welche Rolle kommt den jungen Menschen im Friedensprozess zu?
Die Angst vor einem neuen Krieg steckt den Menschen tief in die Knochen, quer durch alle Religionsgemeinschaften. Ihr Durst nach Frieden ist gross! Gerade junge Menschen stehen dem politischen Establishment skeptisch gegenüber und wünschen sich endlich langfristig Ruhe und Ordnung.

Der Erhalt des Status quo der Stadt Jerusalem war ein weiterer inhaltlicher Schwerpunkt. Wie haben Sie die Stimmung in dieser Frage erlebt, nachdem US-Präsident Donald Trump Jerusalem als Hauptstadt Israels anerkannt hat und die US-Botschaft dorthin verlegen will?
Die historisch, kulturell und politisch unsensible Erklärung des amerikanischen Präsidenten hat den Traum der Christen und Muslime von einer Zwei-Staaten-Lösung in weite Ferne gerückt, ja praktisch zerstört. Die in der Heilig-Land-Koordination vertretenen Bischofskonferenzen setzen sich in einer Linie mit Papst Franziskus aber weiterhin für eine Zwei-Staaten-Lösung ein. Die Vertreter der einzelnen Bischofskonferenzen werden in ihren Herkunftsländern bei den zuständigen staatlichen Stellen entsprechend vorstellig werden.

Sie haben bereits mehrfach an solchen Reisen ins Heilige Land teilgenommen. Stellen Sie Entwicklungen fest – positiver wie negativer Art?
Der politische Prozess des israelischen Mauer- und Siedlungsbaus hält trotz internationalem Protest an, was bei einem Teil der christlichen und muslimischen Palästinenser den Zorn erhöht und bei einem anderen Teil zu völliger Entmutigung und Hoffnungslosigkeit geführt hat. Die Trump-Erklärung zu Jerusalem hat diese Situation noch verschärft. Die Aufräumarbeiten im Gazastreifen machen Fortschritte. Viele Häuser wurden wieder aufgebaut. Doch der Schein trügt: Es sind noch viele Aufbauarbeiten zu tun und die Armut hat weiter zugenommen; die Zahl der Christen bewegt sich heute bei unter 1000. Weniger als 200 von ihnen gehören der römisch-katholischen Kirche an.

Was nehmen Sie konkret von dieser Reise in Ihren Alltag mit?
Dass ich mich noch mehr für die Christen im Heiligen Land, für ihren Verbleib in ihrer Heimat und für die Verständigung zwischen den Angehörigen jüdischen, christlichen und muslimischen Glaubens einsetzen möchte.

Interview: Sylvia Stam, kath.ch