Aufziehende Gewitterwolken lösen Furcht vor bevorstehendem Unheil aus – die Bibel verwendet diese Erfahrung auch symbolhaft. (Foto: Dr. Stephan Barth/pixelio.de)
Aufziehende Gewitterwolken lösen Furcht vor bevorstehendem Unheil aus – die Bibel verwendet diese Erfahrung auch symbolhaft. (Foto: Dr. Stephan Barth/pixelio.de)
21.04.2018 – Impuls

Exodus 14,15–15,1

Der Engel Gottes, der den Zug der Israeliten anführte, erhob sich und ging an das Ende des Zuges und die Wolkensäule vor ihnen erhob sich und trat an das Ende. Sie kam zwischen das Lager der Ägypter und das Lager der Israeliten. Die Wolke war da und Finsternis, und Blitze erhellten die Nacht. So kamen sie die ganze Nacht einander nicht näher.
Mose streckte seine Hand über das Meer aus und der Herr trieb die ganze Nacht das Meer durch einen starken Ostwind fort. Er liess das Meer austrocknen und das Wasser spaltete sich. Die Israeliten zogen auf trockenem Boden ins Meer hinein, während rechts und links von ihnen das Wasser wie eine Mauer stand. Die Ägypter setzten ihnen nach; alle Pferde des Pharao, seine Streitwagen und Reiter zogen hinter ihnen ins Meer hinein. Um die Zeit der Morgenwache blickte der Herr aus der Feuer- und Wolkensäule auf das Lager der Ägypter und brachte es in Verwirrung.

(Einheitsübersetzung gekürzt)

 

Die Frage nach der symbolhaften Bedeutung

Ich erinnere mich an die heftigen Sommergewitter, die mir als Bauernkind jeweils sehr bedrohlich vorkamen. Ich wusste, dass sich Hagel kurz vor der Ernte verheerend auswirkte, oder dass ein Blitzschlag im Nu unsere ganze Scheune in Brand setzen konnte. Nebst der kindlichen Aufregung über den ohrenbetäubenden Lärm eines Gewitters beschlich mich deshalb stets eine Furcht über bevorstehendes Unheil. Ich weiss noch, wie mir in solchen Situationen das Verhalten meiner Grosstante immer etwas sonderbar vorkam. Nahte nämlich ein Gewitter, dann goss sie Weihwasser in eine Schale und legte diese auf den Fenstersims. Manchmal tauchte sie ihre Fingerspitzen ins heilige Nass und besprengte damit den Platz vor dem Fenster, nicht ohne sich selbst und uns Kindern ein Kreuz auf die Stirn zu zeichnen. Für mich als Kind war das jeweils sehr trostvoll, auch wenn ein minimaler Zweifel bestehen blieb, ob wir durch dieses magische Verhalten vom Gewitter nun wirklich verschont bleiben würden oder nicht.

Im obigen Bibeltext wird uns das geheimnisvoll-magische Verhalten des Mose vor Augen geführt. Die schützende Wolkensäule bleibt selbst als Naturphänomen obskur.

Immer wieder beschäftigt mich die Frage, wie wir mit solchen Texten umgehen sollen. Auf der einen Seite können wir, gegen unseren Verstand ankämpfend, versuchen, sie wörtlich und bildlich zu nehmen. Dabei besteht jedoch die Gefahr eines Fundamentalismus, der keine kritischen Fragen zulässt, sondern blinden Glaubensgehorsam fordert.

Auf der anderen Seite können wir sie als unwahr, unrealistisch und frei erfunden in die Welt der Märchen katapultieren. Ähnlich drückte es der Theologe Rudolf Bultmann aus: «Man kann nicht elektrisches Licht und Radio benutzen, in Krankheitsfällen moderne medizinische und klinische Mittel in Anspruch nehmen und gleichzeitig an die Geister- und Wunderwelt des Neuen Testaments glauben.» In seinen Augen war der naive Glaube an die biblische Wunderwelt definitiv erledigt.

Doch welche Bedeutung hat die biblische Überlieferung, und wie können wir heute mit ihren Erzählungen umgehen? In der Folge von Bultmanns Äusserungen entstand darüber eine heftige Debatte. Dem Sprachphilosophen Paul Ricœur ist die Überlegung zu verdanken, dass es eine zweite Annäherung an den biblischen Text braucht, auch wenn die Naivität im Sinne von Bultmann aufgegeben wurde. In der von Ricœur geforderten «Zweiten Naivität» geht es darum, kritische Fragen und Zweifel an den Text zuzulassen und nach der symbolischen und sinnhaften Bedeutung der Überlieferung zu fragen. Dabei soll gezielt die Betrachtungsweise eingenommen werden, als ob es tatsächlich so passiert wäre. So wird der theologische Symbolgehalt der biblischen Metaphern erschlossen. Am Beispiel der Wolkensäule kann dies heissen, dass ich sie als Symbol dafür verstehe, dass Gott ein Gott ist, der – besonders in bedrohlichen Situationen – wegweisend und schützend ins Leben der Menschen eingreift. Und damit kann ich persönlich sehr wohl etwas anfangen!

Mathias Jäggi, Theologe und Sozialarbeiter in der Pfarrei Heilig-Kreuz, Binningen-Bottmingen, Berufsschullehrer und Fachhochschuldozent