Durchzug durch das Rote Meer (Glasfenster der Basilika Notre-Dame de L’Épine). | © wikimedia/Vassil
Durchzug durch das Rote Meer (Glasfenster der Basilika Notre-Dame de L’Épine). | © wikimedia/Vassil
20.05.2019 – Aktuell

Dichtung und Wahrheit in der Bibel

«Was ist Wahrheit?» Diese Frage von Pontius Pilatus (Joh 18,38) stand am Anfang des zweijährigen Aeneas-Silvius-Zyklus zum Thema «Wahrheit und Wissen». Dabei ging es um die Bedeutung von Wahrheit und Wissen in ganz unterschiedlichen Bereichen. So sprach Erik Petry, stellvertretender Leiter des Zentrums für Jüdische Studien der Universität Basel, zum Abschluss des ersten Jahres über die Gründung des Staates Israel und die vielen Wahrheiten im Nahostkonflikt. Das biblische Israel stand im zweiten Jahr im Vortrag der Theologin Sonja Ammann, Professorin für Altes Testament an der Universität Basel, zur historischen Forschung am Alten Testament im Zentrum.

Wie war das damals, als das Volk Israel aus Ägypten auszog? Wie viele waren da unterwegs und wie sah die Logistik aus? Und brauchten die Israeliten wirklich 40 Jahre? Als sich im 18. und 19. Jahrhundert die historisch-kritische Methode der Bibelauslegung entwickelte, sei die Exoduserzählung schnell ins Visier der Kritiker geraten, sagte Ammann. Die Forschung habe die Zweifel an der historischen Glaubwürdigkeit bestätigt. So habe die Archäologie keinerlei Nachweise für die Wüstenwanderung gefunden, und auch in den zeitgenössischen ausserbiblischen Texten, die dank der Entschlüsselung der Hieroglyphen- und Keilschrift lesbar geworden waren, gebe es keine Hinweise darauf.

Wer aber das Buch der Bücher auf den geschichtlichen Gehalt reduziert, verfehle den Punkt, um den es in der Bibel gehe, sagte Ammann. Der deutsch-schweizerische Theologe Wilhelm Martin Leberecht de Wette (1780–1849) sei zum Schluss gekommen, dass die Bücher Mose als Geschichtsquelle unbrauchbar seien, habe sie aber als Mythos und Poesie gewürdigt. Die Exoduserzählung, so Ammann, sei nicht als Schilderung eines einzigen historischen Ereignisses zu lesen, sondern als Beziehungsgeschichte zwischen Gott und seinem Volk.

Regula Vogt-Kohler